Seit geraumer Zeit scheint es einen ungebrochenen Trend im deutschsprachigen Rap zu geben, verstärkt persönliche Momente in den Texten zuzulassen. Gerade jenen Rapper*innen, die sonst eher durch bissige oder pöbelige Texte auffielen, steht dieser kleine „Stilwechsel“ wirklich gut zu Gesicht. Juse Ju („Shibuya Crossing“) und Yassin („Ypsilon“) haben das eindrucksvoll vorgemacht.

In eine durchaus ähnliche Kerbe schlägt auch Fatoni mit seinem neuen Album „Andorra“, allerdings ist sein neues Werk vor allem mit Blick auf den Vorgänger „Yo, Picasso“ zu verstehen. Bereits beim Cover zeigt sich, dass Fatoni auch ästhetisch nichts dem Zufall überlassen will. Schließlich ist kein geringerer als Klaus Voormann verantwortlich für die Optik des Albums. Zu sehen ist Fatoni selbst, Pokerface und Sonnenbrille, aber durch und über seinem Kopf wabern zahllose Gedanken und Ideen. Hierin spiegelt sich wiederum der Albumtitel „Andorra“ wider: Angelehnt an das gleichnamige Theaterstück Max Frischs beschreibt der „Andorra-Effekt“ den Umstand, wie sich menschliches Verhalten an die Erwartungen der Umwelt anpasst. Unter diesem Eindruck sind die Tracks der Platte erstanden und offenbaren einen bisher singulären Einblick in das Innenleben des Rappers. Wie bereits auf „Yo, Picasso“ besticht „Andorra“ mit Fatonis klarem und sarkastischem Blick auf die Geschehnisse, jedoch lässt der Rapper auf seinem neuen Streich deutlich mehr Nähe zu. Selbstzweifel („Krieg ich alles nicht hin“), das Ringen mit oktroyierten Lifestyles („Clint Eastwood“) oder das Verhalten, sich trotz massivem Verkacken nichts anmerken zu lassen („Alles cool“), bilden die groben Leitmotive des Albums, allerdings ließen sich diese noch weitaus feiner aufdröseln. Allerdings wäre Fatoni nicht Fatoni, wenn mit „Burj Khalifa“ (zusammen mit Casper) nicht ein obligatorischer „Ich bin der Größte“-Track auf der Platte vertreten wäre, auch wenn dieser natürlich nicht biederernst verstanden werden sollte. Ganz groß sind aber zweifelsohne „Die Anderen“ und „Alles zieht vorbei“, welches mit einem unglaublich guten Part des Tocotronic-Sängers Dirk von Lowtzow aufwartet.

„Andorra“ ist nicht einfach nur ein weiteres Rap-Release mit persönlicher Note. Vielmehr ist die Platte eine kritische Bestandsaufnahme zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Zustände und Zwänge – und das ganz ohne anstrengendes, plattes Moralisieren. Der Umstand, dass man sich in Fatonis Texten mit großer Sicherheit wieder findet, unterstreicht die Authentizität zusätzlich. „Andorra“ ist zweifellos das beste Album des Rappers – und letztlich ein heißer Anwärter auf mein persönliches Rap-Album des Jahres.

[Universal 2019]