Wenn Rapper*innen in ihren Tracks, ganz entgegen ihrer bisherigen Ausrichtung, plötzlich ernste und deepere Texte anklingen lassen, nagt eine gewisse Skepsis in mir. Nach Fatoni, und in diesem Punkt stimme ich ihm absolut zu, sind manche Rapper*innen nämlich wirklich besser dran, wenn sie einfach nur begnadet rappen. Entsprechend erwartete ich das neue Album Juse Jus, der nicht nur im Dunstkreis um den besagten Rapper und die Antilopen Gang eine feste Referenz in Sachen Rap ist, gleich mit doppelter Spannung.

Bereits das Cover von „Shibuya Crossing“ deutet sehr gut an, was uns auf der Platte erwartet. Ein Mensch steht auf der berühmten großen Kreuzung im Tokyoter Stadtteil Shibuya. Sein Blick auf die bunten Großstadtschluchten wird flankiert von Erinnerungen aus seinem Leben: Comics, Skateboards, erste Rap-Battles und die Jugendliebe, aber auch das Auto eines Freundes, das sich auf dem Heimweg nach einer Party überschlägt. All das spiegelt die Biographie eines Menschen wider, der mit 18 Jahren bereits auf drei Kontinenten gelebt hat. „Shibuya Crossing“ erzählt die ganz persönliche Geschichte von Juse Ju, dessen Vater die Familie berufsbedingt über die schwäbische Provinz („Kirchheim Horizont“) in Japans Hauptstadt Tokyo („Shibuya Crossing“) und schließlich in die amerikanisch-mexikanische Grenzstadt El Paso („Bordertown“) führte. Und all dies auf so wunderbare Weise, wie man es vermutlich gar nicht erwartet hätte. Sicher, natürlich gibt es den obligatorischen Track mit seinen Buddys Fatoni und Edgar Wasser („7Eleven“) und jede Menge „klassische“ ironisch-pöbelige Juse-Tracks („Fake it ‚til you make it“ oder „Lovesongs“). Trotzdem sind die Schwerpunkte des Album sehr autobiografisch, und was soll ich sagen? Diese neue Seite steht Juse Ju verdammt gut! „Shibuya Crossing“ ist vor allem deshalb so erfrischend und ehrlich, weil es in der sonst so harten, mackerhaften Deutschrap-Szene wirklich unüblich ist, so persönliche Einblicke zuzulassen oder gar eigene Fehler einzugestehen. Keine Sorge, die Battle-Attitüde hat Juse zum Glück nicht komplett abgelegt. Dennoch klingen seine Tracks um einiges nachdenklicher und emotionaler, was durch den Sound zudem hervorragend vermittelt wird. Egal ob Synthie-Elemente, „echte“ Instrumente oder Anleihen moderner Rap-Spielarten, musikalisch ist Juses neues Album deutlich vielfältiger und stärker an die jeweilige Emotion angepasst als die Vorgänger. Und wem das nicht reicht: Einen politischen Track mit Danger Dan-Feature gibt es mit „Propaganda“ auch noch.

Mit „Shibuya Crossing“ gelingt Juse Ju ein kleines Rap-Kunststück, von dem sich einige Rapper*innen gerne mal ein bisschen inspirieren lassen sollten. Im Interview mit uns hat es der Rapper auf den Punkt gebracht: „Auf Dauer alles nur zu haten ist ungesund und führt in eine Sackgasse.“ Der Weltenbummler ist ein Wagnis eingegangen, das sich aber voll und ganz auszahlt. Ganz groß.

[Juse Ju/Groove Attack 2018]