Auch wenn ich mich nicht wirklich in besonders politischen Hardcore-Kreisen bewegt habe, wurden bestimmte Bands Mitte der 2000er trotzdem äußerst kontrovers diskutiert: Christian Hardcore. Ich verstehe bis heute nicht, wie diese beiden Begriffe zusammenpassen sollen. Der persönliche Glaube eines Menschen ist mir im Grunde ziemlich egal, solange er keine politischen Forderungen zum Nachteil anderer Menschen in einer säkularen Gesellschaft stellt. Letzteres traf aber auf Bands wie For Today, The Chariot, Haste The Day und Oh, Sleeper absolut zu. Nicht nur in ihren Texten, sondern auch in Interviews und Statements äußerten sich die Mitglieder der besagten Bands äußerst homo- und transfeindlich und lehnten entschieden die Evolutionstheorie sowie das Recht der Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch ab. Kurzum: Diese Bands, welche leider zunehmend populärer wurden, waren in meinen Augen die in Musik gegossene Bevormundung und damit genau das Gegenteil von dem, wofür Hardcore für mich stand und heute noch steht. Gemäß des Grundsatzes „I don’t mosh in your church so don’t pray in my pit“ war ich entsprechend angepisst, dass christliche Hardcore-Bands sogar so weit gingen, auf der Bühne zu predigen. Leider nahm ich weite Teile der Szene damals als sehr unkritisch wahr, viele beriefen sich auf die musikalischen Fähigkeiten der genannten Bands. Für mich nach wie vor ein echt schwaches Argument, mit dem sich auch Fans von Frei.Wild und den Onkelz für ihren beschissenen Geschmack rechtfertigen.

Bevor das hier jetzt aber zu einem Rant ausartet, schlage ich lieber die Brücke zu meinem eigentlichen Anliegen: Underoath veröffentlichen knapp drei Jahre nach ihrer Reunion ein neues Album, das den Namen „Erase Me“ trägt. Die Band aus Tampa wurde stets der Marke Christian Hardcore zugeordnet, was sie gerade in letzteren Jahren immer mehr zu stören schien und ihrerseits entsprechend Dementi verkündet wurden. Bisher betrachtete ich das Sextett immer mit Argwohn, auch wenn ich zugeben musste, dass sie sich musikalisch deutlich vom eher durchschnittlichen Metalcore der besagten Pro Life-Trottel abhoben. Stets vereinten Underoath Melodie und Härte in geradezu perfekter Weise. Immer dann, wenn ein Part zu sehr in die Seichtigkeit abzudriften drohte, prügelte die Band dicke Riffs und fieses Geschrei in den Song und alles war gut. Im Grunde funktioniert der neue Longplayer „Erase Me“ auch nach diesem Prinzip, aber nochmal eine Schippe geiler. Gut, Underoath werden in Bezug auf elektronische Elemente nochmal deutlich verspielter. Mitunter erinnern die Songs stark an härtere Bring Me The Horizon, die mittlerweile nicht mal mehr vor lupenreinen Pop-Songs zurückschrecken. Beiden Bands steht dieser Sound jedoch ausgesprochen gut. Underoath verlieren sich aber im Gegensatz zu Oliver Sykes und seinen Bandkollegen nicht so sehr in rosa Wolken und Schmachtfetzen, sondern ballern an den richtigen Stellen lieber ordentlich durch. Beste Beispiele sind hier ohne Frage „Hold Your Breath“ und die Single-Auskopplung „On My Teeth“. Geholze, Geschrei, Klargesang und eingängig wie Sau. So muss das! Die Produktion ist ein absoluter Traum, hier haben Produzent Matt Squire und Ken Andrews beim Mischen hervorragende Arbeit geleistet.

Dass sich Underoath zunehmend von ihrem christlichen Image distanzieren, ist mit Blick auf Teile ihrer Fans erst recht nachvollziehbar: Nach der Veröffentlichung des Musikvideos zu „On My Teeth“ pöbelten einige Twitter-User*innen gegen die Band. Der Grund: Underoath hatten es gewagt, das Wort „Fuck“ im Song auszusprechen. Oh boy. Wer solche verballerten Flitzpiepen in der Fanbase hat, kann einem fast leid tun. Die Jungs aus Tampa haben sich zum Glück verstärkt auf die Musik statt auf Bibelverse konzentriert und damit ein würdiges Comeback hingelegt. Fans melodischen Metalcores ohne Angst vor elektronischen Spielereien kommen an „Erase Me“ definitiv nicht vorbei.

[Fearless Records 2018]