In den letzten fünfzehn Jahren gewann ein explizit linksradikales Subgenre innerhalb der deutschen Hip Hop-Szene zunehmend an Bedeutung und zeigte (wenn auch in einem überschaubaren Rahmen) auf beeindruckende Weise, dass gute Musik und emanzipatorischer Anspruch kein Widerspruch sein müssen. Unter dem Begriff Zeckenrap firmierten sich zahlreiche Acts, die etwas zu sagen hatten und die politische Beschissenheit der Dinge nicht hinnehmen wollten. Ein Anspruch, der mir angesichts der zunehmenden Verrohung weiter Teile der Gesellschaft in den letzten Jahren mehr als wichtig erschien. Im Mai 2017 erlitt das Subgenre jedoch einen heftigen Schlag, als das Künstler*innen-Kollektiv Ticktickboom, bis dato DAS Aushängeschild in Sachen Zeckenrap, seine Auflösung bekannt gab. Während die einzelnen Mitglieder solo oder in anderen Combos sehr ähnliche Richtungen eingeschlagen haben, gab es noch eine Handvoll Acts, die sich bisher meist im Fahrwasser des Kollektivs bewegten und den Grundgedanken auch im kleineren Rahmen weitertragen wollten.

Einer dieser Acts ist der Rapper BoykottOne. Ganze sechs Jahre ist es her, dass er 2012 sein letztes Album „Solikonzert“ veröffentlicht hat. Dieser Umstand erhöht ohne Frage die Erwartungen an seinen kürzlich erschienenen neuen Longplayer „Kargland“, das der Rapper über das Dessauer Label Save The Scene Records veröffentlichte. Die neue Scheibe schlägt eine ähnliche Richtung wie sein Vorgänger ein: BoykottOne setzt noch immer auf eine teils martialisch-harte Soundkulisse, die aber glücklicherweise ganz ohne Gangsta Rap auskommt. Auch dieses Mal gibt sich der Rapper mitunter sehr persönlich und autobiographisch in seinen Texten, wodurch die Tracks einen hohen Grad an hörbarer Authentizität gewinnen. Aufgewachsen und wieder zurückgekehrt in die norddeutsche Pampa konnte BoykottOne nämlich, ganz im Gegensatz zu seinen Zeckenrap-Kolleg*innen aus Berlin, nicht auf bestehende Strukturen zurückgreifen, sondern musste den Grundstein selbst legen. Die Veröffentlichung auf einem Label, das mittlerweile Zuhause für eine Auswahl antifaschistischer Acts geworden ist und dessen Name daher durchaus als Anspruch gesehen werden kann, ist also nur konsequent. Von diesem Umstand handeln die Tracks „Hinterland“ und „Ich bleibe“, aber auch klassische Zeckenrap-Themenfelder wie politische Partizipation („Berufsdemonstrant“) und die Intoleranz innerhalb der Hip Hop-Szene („Kreidezeit“) werden bedient. Die wahren musikalischen Stärken des Albums liegen allerdings in jenen Tracks, bei denen BoykottOne Features von Künstler*innen wie Finna („Eines Dieser Leben“), RIVA („Kein Hip Hop“) und Haszcara („Ihr Habt Recht“) gewinnen konnte. Den nötigen Feinschliff gab’s von LeijiONE, der im Zeckenrap-Kontext schon so manche Platte produziert und auch in diesem Fall einen großartigen Job gemacht hat.

Während Zeckenrap als Subgenre zumindest in meinen Augen beziehungsweise Ohren musikalisch wie inhaltlich zunehmend auf der Stelle tritt, macht BoykottOne diesen Fehler glücklicherweise nicht. Ähnlich wie Haszcara lässt er auf seinen neuen Longplayer deutlich mehr Persönliches durchblicken und läuft so nicht Gefahr, sich in politischen Plattitüden zu verlieren. Ob man „Kargland“ nun zu Zeckenrap zählt oder nicht, ist letztendlich relativ irrelevant. BoykottOne hat nämlich gezeigt, dass er durchaus über diesem Prädikat steht und nicht mehr nur darunter zu subsumieren ist. Hut ab!

[Save The Scene Records 2018]