Bild: David Henselder

Zugegeben, ich hatte so meine Anfangsschwierigkeiten mit Waving The Guns und konnte den Hype um die Rostocker nie so ganz nachvollziehen. Je mehr ich mich aber mit der Musik der Jungs sowie den differenzierten Aussagen auch außerhalb ihrer Texte beschäftigte, wurde mir die Rap-Combo immer sympathischer – ein Eindruck, der sich im persönlichen Gespräch mit Milli Dance und Dub Dilan mehr als bestätigen sollte. So sprach ich mit den beiden WTG-Mitgliedern in der Kreuzberger Paloma Bar und staunte nicht schlecht, wie gesprächig die beiden in Bezug auf ihr neues Album, Szene-Gossip und das schwierige Verhältnis von Kunst und Politik waren.

Schön euch mal zu treffen und danke, dass ihr euch die Zeit nehmt! So wie ich das mitbekomme, ist der Hype um eure neue Platte „Das muss eine Demokratie aushalten können“ schon relativ groß, oder?

Milli Dance: Och, ich glaube es geht. Ich kann auch immer schwer einschätzen, wie groß ein Hype ist. Aber ja, ich würde schon sagen, dass alles gut anläuft.

Vor allem auf eure Tour trifft das zu, bisher gehen ja gut Tickets weg.

Milli Dance: Total. Das ist natürlich von Stadt zu Stadt unterschiedlich, aber wir können uns wirklich nicht beklagen. Schließlich waren unsere Shows teils noch nie so weit im Vorfeld ausverkauft, sondern eher kurz vorher. Bisher sind fünf von sechzehn Shows ausverkauft.

Macht euch diese Erwartungshaltung nervös oder überwiegt die Freude?

Milli Dance: Eigentlich sehen wir das ziemlich gelassen. Zwei von uns dreien gehen auch aktuell keiner anderen Arbeit nach, entsprechend hat man dann auch Zeit für das Ganze. Ich bin also zuversichtlich, dass das eine gute Tour und ein gutes Jahr wird.

Ich konnte schon in die neue Platte reinhören, will mich mit meiner Meinung aber erstmal zurückhalten und vielmehr euch zu Wort kommen lassen. Was erwartet uns in euren Augen auf dem neuen Album? Krasse Experimente oder das altbewährte Rezept?

Milli Dance: Aus meiner Sicht – und dieses Feedback habe ich auch von anderen schon bekommen – stellt die neue Platte eine Weiterentwicklung von dem dar, was wir gut können. Ich glaube uns ist es auch gelungen, diesen Umstand auch soundtechnisch verstärkt herauszuarbeiten. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es für uns die bisher zufriedenstellendste Platte ist. Das liegt vor allem auch daran, dass ich textlich selektiver vorgegangen bin und alles auf das eingedampft habe, was ich im Moment sagen möchte. Wir haben zwar nach wie vor den selben Bezugsrahmen wie immer, lassen aber auch mehr Platz für Reflexion und Selbstkritik.

Dub Dilan: So habe ich das bisherige Feedback auch interpretiert. Vielen ist der Zugang zur neuen Platte leichter gefallen als beispielsweise zu „Eine Hand bricht die andere“. Oder anders formuliert: „Das muss eine Demokratie aushalten können“ ist musikalisch eingängiger und zugleich textlich komplexer.

Da würde ich euch zustimmen. Welche Einflüsse, ob nun inhaltlich oder musikalisch, waren für das Album für euch entscheidend?

Milli Dance: Wir arbeiten ja meist mit einer boom-bappigen Basis, wobei auf dem neuen Album auch drei Tracks vertreten sind, die mit einem Halftime-Beat und doppelt so schnellem Flow funktionieren, ohne dass das gleich als Trap durchgeht – zumal diese auch Samples beinhalten und einen stark soulig-jazzigen Einschlag haben. Das würde ich als unsere grobe Orientierung beschreiben, ohne uns da jetzt total festzulegen. Die Beats, die Dub Dilan und Dr. Damage zimmern, sind davon auf jeden Fall beeinflusst. Auf dem neuen Album haben wir aber verstärkt daran gearbeitet, mehr Melodien einzubinden. Beim Hören oder Performen alter Sachen, wie sie zum Beispiel auf „Totschlagargumente“ vertreten sind, habe ich mich zunehmend gefragt, warum wir nicht an der einen oder anderen Stelle eine aus meiner Sicht total passende Melodie eingebaut haben. Auch stimmlich wollte ich auf der neuen Platte verstärkt melodiöser arbeiten.

Dub Dilan: Wir sind in unserer Herangehensweise nicht dogmatisch und würden uns auch keiner speziellen Schule oder einem Genre zuordnen. Von daher würde ich Milli total zustimmen, es gibt aber wie gesagt immer wieder Brüche, die eine eindeutige Schubladenzuordnung verhindert.

Neben der Absicht, eine abgedroschene Floskel ironisch zu verdrehen, haben wir aber auch einfach einen coolen Titel gesucht. Soll heißen: Wenn ihr Scheiße labert, müsst ihr auch unsere Kritik daran aushalten können.

Bezugnehmend auf den Titel: Welche Rapper*innen muss eine Demokratie nicht aushalten können?

Dub Dilan: (lacht)

Milli Dance: Lustigerweise hat sich auch ein Podcast zum Interview mit der Frage angekündigt, was eine Demokratie denn aushalten können müsse. Ich finde das total schwierig zu beantworten, denn das ist auch immer an ein bestimmtes Verständnis von Demokratie gekoppelt. Der Albumtitel greift ja im Grunde auf ironische Weise eine Phrase auf, mit der im Alltag teilweise ziemlich antidemokratische Einstellungen gerechtfertigt werden sollen. Ich persönlich begreife Demokratie etwas anders als auf die Weise, wie wir es meist erleben. Während im Alltag neoliberale Einstellungen omnipräsent sind, stütze ich mich eher auf basisdemokratische, libertäre und freiheitliche Elemente. Entsprechend finde ich es auch nicht sinnvoll darüber zu diskutieren, was nicht sein darf, sondern versuche eher, eine klare Gegenposition aufzuzeigen und zu vertreten. Im Grunde sehe ich das auch in Bezug auf Kunstfreiheit ähnlich, auch wenn es hier natürlich auch nicht einfach ist, eine vernünftige Zwischenposition zu finden. Gerade bei menschenfeindlichen Ausfällen im Rap gilt es natürlich, souverän eine klare Gegenhaltung zu vertreten und darüber zu sprechen, anstatt Verbote anzuführen.

Dub Dilan: Im Titel schwingt auf jeden Fall, wie Milli auch schon gesagt hat, ein jeweils individueller Demokratiebegriff mit. Es geht dabei weniger um ein institutionelles Demokratieverständnis, sondern eher um eine Lebenseinstellung, die alle Bereiche erfasst. Markus Staiger äußerte neulich in einem Interview seinen Wunsch nach einer „demokratischen Revolution“, was schon ganz gut trifft, was wir meinen. Egal ob Ökonomie oder Sexualität, es geht letztlich um ein freiheitliches Miteinander. Zu dieser Form der Selbstbestimmung gibt es natürlich eine Opposition, die eine Demokratie der Phrase zufolge aushalten müsse, aber gegen diese positionieren wir uns ja wiederum ziemlich eindeutig.

Milli Dance: Dieses ironische Aufgreifen der Phrase „Das muss eine Demokratie aushalten können“ ist eine deutliche Kritik an jenen, die das zum Beispiel in Bezug auf Nazi-Demos oder ähnliches immer verlautbaren. Mag sein, dass wir das als Demokraten aushalten müssen, aber es kommt auch einfach nichts Progressives bei einer solchen Haltung rum. Neben der Absicht, eine abgedroschene Floskel ironisch zu verdrehen, haben wir aber auch einfach einen coolen Titel gesucht. Soll heißen: Wenn ihr Scheiße labert, müsst ihr auch unsere Kritik daran aushalten können. Unter’m Strich ist es aber mehr ein griffiger Titel als ein roter Faden, der sich durch das Album zieht.

Um politische Inhalte kommt man bei euch offensichtlich nicht herum. Milli Dance, du hast mal zusammen mit Dr. Damage in einem Interview mit der Straßen aus Zucker…

Milli Dance: Ich glaube, dass ich da alleine war. Ach nee, er kam dann später dazu und ich meinte vorher, dass ich das Interview dann alleine mache, obwohl ich selbst total verkatert war (lacht).

Dub Dilan: Jetzt bin ich gespannt, was Milli da gesagt hat (lacht).

Ich gehe mal davon aus, dass wir letztlich vom selben Interview sprechen. Jedenfalls hast du damals klar betont, dass ihr nichts mit dem Label „Zeckenrap“ anfangen könnt bzw. wollt, weil Rap für euch nicht Mittel für den politischen Zweck ist. Eine Aussage, die ich persönlich sehr begrüßenswert finde. Trotzdem ist euer Rap ja hörbar politisch. Würdet ihr Koljahs Aussage „Ich hör‘ kein Rap, sondern les‘ ein Buch, wenn ich was wissen will“ dennoch unterschreiben?

Milli Dance: Das habe ich schon öfter gesagt (lacht). Kolljahs Aussage ist auf jeden Fall sehr polarisierend, verstehe aber, was er meint. Ich habe auch schon zu Leuten gesagt: „Wenn du was erzählen willst, dann mach doch einen Redebeitrag!“ Auf verschiedenen Shows, und hier nenne ich jetzt keine Namen, habe ich genau das eben gedacht. Es gab da mal einen Abend in einem alternativen Laden, ich saß damals mit Admiral Adonis im Backstage und man hörte bei einem Vor-Act minutenlang immer nur Gerede über irgendwelche Ismen und wie diese wen betreffen. Ich dachte irgendwann einfach nur noch: „Mensch, spiel doch einfach deine Musik!“ Natürlich ist es wichtig, dass man die Möglichkeit hat Themen anzusprechen, die einem wichtig sind. Aber am Ende soll es doch um Musik gehen. Rap und Kunst in jeglicher Form ersetzen nicht politische Bildung. Niemand sollte das, was ich sage, als unumstößliche Grundlage für die Aneignung von Wissen sehen. Schließlich gieße ich ja auch nur mein begrenztes Wissen in eine Kunstform und das spiegelt damit meine persönliche Auseinandersetzung mit bestimmten Themen wieder. Ich nutze die Themen, die mich beschäftigen, eher als Vorlage, um meinen Battle Rap-Ansatz anzuwenden. Letzterer ist hinsichtlich seiner Punchlines und seiner Form allgemein einfach unterhaltsam, weshalb ich im Zweifel immer die Form über den Inhalt stellen würde. Inhaltlich guten Kram gibt es verdammt viel, aber den finde ich dann musikalisch stinklangweilig. Hunderprozentig unterschreiben würde ich Koljahs Zitat trotzdem nicht. Ich habe so meine Probleme mit einer bestimmten Erwartungshaltung, die an uns als Künstler herangetragen wird. Unter’m Strich spielen wir ja Konzerte, weil die Leute unsere Musik hören, dementsprechend tu ich mich da schwer, wenn es um eine Art inhaltliche Vorbildfunktion geht. Ich sehe das ein bisschen anders. Kunst ist Egoismus. Man macht das letztlich für sich, schließlich verbringe ich meine Zeit überwiegend damit, Musik zu produzieren und aufzutreten.

Ich kann daraus letztlich natürlich nicht ableiten, dass das alles keine Bedeutung hätte. Nimm mal Feine Sahne Fischfilet und ihr Festival „Wasted in Jarmen“, das ist die wichtigste politische Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten Jahren. Gerade für junge Leute kann Musik natürlich eine Art Kompass sein, aber ich würde hier dennoch zur Bescheidenheit mahnen. Schließlich nutzt man mit Musik auch nur die Möglichkeit, sich selbst künstlerisch auszudrücken oder – wie in unserem Fall – sogar eine Weile davon leben zu können.

Dub Dilan: Ungeachtet von Lesezirkeln und Bauarbeiter-Lines lesen wir tatsächlich auch ab und zu mal.

Milli Dance: Ich nicht. Na gut, ein bisschen.

Dub Dilan: Letztlich drück sich eben alles in den Texten auf, was einen selbst so umtreibt. Wir sind einfach politische Menschen, zumal ich mich auch immer frage, ob es sowas wie unpolitische Menschen überhaupt gibt. Ich glaube aber, dass wir uns darauf einigen können, dass wir keine Propaganda machen.

Milli Dance: Zumindest aus unserer Sicht nicht, irgendwelche Internet-Trolle sehen das bestimmt anders. Jedenfalls ist es mir wichtig, dass ich keine Tracks schreibe, weil ich eine bestimmte Agenda damit verfolgen will, sondern weil die Musik knallen soll. Natürlich haben wir auch auf der neuen Platte explizit politische Tracks wie „Die Da Reden“, welche uns in linken Kreisen Aufmerksamkeit zusichert. Trotzdem haben wir uns bei unseren Single-Auskopplungen für Battle Rap-Tracks entschieden. Es ist trotzdem – sagen wir mal – interessant, wenn ich dann beispielsweise bei rap.de in Bezug auf die Single „Was hast du denn erwartet“ Schlagzeilen lese wie: „Waving The Guns mit einer klaren Ansage gegen rechts“. (alle lachen) Das ist insofern interessant, als dass bei diesem Track tatsächlich das Musikalische viel ausschlaggebender ist: Battle Rap mit hoher Punchline-Dichte. Oder bei „Perlen vor die Säue“: Hier las ich einen Kommentar wie „Kommunisten-Scheiße“. Offensichtlich interpretieren die Leute viel mehr in deine Musik rein, als man sich vorstellen kann. Sie nehmen dich eben aufgrund deines Gesamtbildes wahr. Ich habe aber auch Feedback bekommen von Leuten, die gar nicht mehr wüssten, was ich ihnen mit meiner Musik noch sagen wolle. So von wegen „Früher ging’s euch noch um Revolution, jetzt geht’s nur noch um’s Drogennehmen.“ Da frage ich mich dann schon: Warum nimmst du das, was ich sage, so verdammt wörtlich? Und welchen Track hast du bitte gehört?

Würdet ihr, abgesehen von dem ganzen Szene-Gossip, eure Musik beziehungsweise Inhalte als linksradikal verorten?

Milli Dance: Man kann sicher nicht leugnen, dass wir linksradikale Ansätze in unseren Texten haben. Hier spielt aber auch eine große Rolle, was man selbst darunter versteht. Geht es um einen Habitus oder warum ich die ganze Zeit vermummt bin? Letzteres könnte ich natürlich auch als Verkaufsargument anführen, aber es geht mir hier vor allem ganz egoistisch darum, dass ich meine Anonymität sehr mag.  Ich habe im Leben noch andere Dinge vor als Musik zu machen, allerdings haben mit Waving The Guns mittlerweile ein Ausmaß erreicht, dass ich meine Fresse nicht überall sehen muss.

Dub Dilan: Ich würde sagen, dass wir linksradikale Menschen sind, die Kultur produzieren, und in dieser Kultur findet sich unsere Weltsicht wieder.

Milli Dance: Ja, so sehe ich das auch.

Ich frage vor allem deshalb, weil linksradikal ein Label ist, das beispielsweise euer Kumpel Pöbel MC nicht unbedingt für sich in Anspruch nehmen würde. Gab’s deswegen mal die eine oder andere Grundsatzdebatte?

Dub Dilan: Wir kommen mit Pöbel sowohl menschlich als auch politisch echt gut klar. Meinungsverschiedenheit gibt’s auch hier mal, das ist klar. Diese Widersprüche muss man aber bis zu einem gewissen Grad aushalten, das begreifen vor allem Linke oft nicht wirklich. Auch wenn seine Selbstwahrnehmung eine andere ist, würde ich schon sagen, dass entsprechende Themen im Kern eine Rolle bei ihm spielen.

Milli Dance: Im Grunde ist ja mit dem Label Zeckenrap auch nicht anders, das ist immer eine sehr subjektive Frage. Inhaltlich sind jedenfalls ziemlich nah beieinander, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind. Aber das ist in meinem Freundeskreis oder bei WTG sicher auch nicht anders. Und in der Linken schon gar nicht, wenn ich so sehe, wie krass hier intern gestritten wird. Ich kann jedenfalls total verstehen, wenn man sich beispielsweise eher als emanzipatorisch und nicht unbedingt als linksradikal betiteln möchte, weil dieser Begriff natürlich auch einengt. Viele Umstände sind einfach unglaublich komplex. Ich selbst bin auch schon über 30 und dementsprechend weit von irgendeinem Jugendantifa-Habitus entfernt. In meinem Freundeskreis gibt es viele Personen meiner Altersgruppe, die ebenfalls mit Anfang Zwanzig eine „klassische“ Antifa-Sozialisation durchlaufen haben, sich aber nun mit einer gewissen linksradikalen Lebenserfahrung fragen, wie sie diese heute sinnvoll nutzen können.

In meinen Augen sollte Kunst auch nicht den Anspruch haben, bloß niemanden zu verletzen oder niemals Grenzen zu überschreiten. Denn dann braucht man sie nicht mehr.

Korrigiert mich, wenn ich hier falsch liege –  aber im linken Kontext an sich sind mir dennoch keine gravierenden Debatten über euch bekannt.

Milli Dance: Noch nicht. (lacht) Klar, vermutlich stoße ich mit meiner Art manchmal Leuten vor den Kopf, aber ich bin eben nicht das Maskottchen für eine bestimmte politische Agenda und spiele dazu auch nicht den Soundtrack. Meistens reduziert sich die Kritik auf Vorwürfe wie Mackertum und unsensiblen Sprachgebrauch. Wir haben nie für uns in Anspruch genommen, immer besonders politisch korrekt zu sein, gerade weil wir uns, wie bereits ausgeführt, gegen einen festen Sprachkanon und Verbote aussprechen. Gerade mit Blick auf den künstlerischen Bereich würde das total viel wegnehmen. Ich habe beispielsweise neulich gelesen, dass in einer deutschen Tages- oder Wochenzeitung argumentiert wurde, der Monty Python-Sketch „The Ministry of Silly Walks“ sei behindertenfeindlich. Dazu hat dann auch der Kommentator geschrieben, er habe den Sketch bestimmt hundert Mal gesehen, aber das sei ihm noch nie in den Sinn gekommen. Mir auch nicht. Manchmal will man wohl mehr sehen, als da ist.  In meinen Augen sollte Kunst auch nicht den Anspruch haben, bloß niemanden zu verletzen oder niemals Grenzen zu überschreiten. Denn dann braucht man sie nicht mehr. Gleichzeitig kann man auch nicht jeden Inhalt mit Kunstfreiheit rechtfertigen. Das ist auch zu einfach.

Wo wir wieder beim Mittel zum Zweck wären.

Milli Dance: Genau! Dann muss ich mich nicht mehr mit den Aussagen beschäftigen, sondern finde mich nur darin wieder. Ich mag es, wenn Kunst oder besser gesagt Texte in der Musik einen doppelten Boden haben. Beispielsweise „Remember“, ein Track der neuen Platte: Battle Rap-Basis, unter der aber auch textlich immer die Kritik an rechten Zuständen mitschwingt. Gleichzeitig ist der Track aber auch eine klare Absage an Schwarz-Weiß-Ideologien, und ich bin mir der Tatsache bewusst, dass sich davon auch wieder viele in ihrem eng geschnürten Weltbild bestätigt sehen dürften. Ich stelle hier einen teilweise eklatanten Mangel an Dialektik fest, weil es immer nur heißt: „Die Person hat das und das gesagt, deswegen geht die gar nicht mehr.“ So einfach ist es halt nicht, zumal das ja auch nur dazu führt, dass man seine Blase einfach noch kleiner fasst und damit letztlich wieder bei seiner kleinen Bezugsgruppe landet, die dann wiederum auch nur Identitätspolitik betreibt.

Dub Dilan: Ein in meinen Augen grundlegendes Problem an einem Konzept wie Political Correctness ist, dass Sprache eben nicht nur reproduzieren und verletzen kann, sondern auch soziale Wirklichkeiten abbildet. Diese ist in vielen Aspekten gewaltförmig, und wenn man das nicht mehr aussprechen kann, hat das in meinen Augen auch nichts mehr mit linker Kritik zu tun und führt letztlich dazu, dass bestimmte Sachen gar nicht mehr verhandelt werden.

Wie stehen dann beispielsweise Audiolith-Label-Kolleg*innen wie Neonschwarz zu euch? Deren Mitglieder würden sich als ehemalige Mitglieder von Ticktickboom ja definitiv zum Zeckenrap zählen.

Milli Dance: Auch hier gibt’s natürlich Meinungsverschiedenheiten beziehungsweise einen ganz anderen Ansatz, aber gerade die Leute von Neonschwarz, die ich persönlich gut kenne und sehr mag, sind sehr aufrichtige Menschen, mit denen wir immer gerne unterwegs sind. Das sieht Audiolith ja auch genauso. Wäre das jetzt ein Label, dass uns vorgibt, welche Linie okay wäre und welche nicht, könnten wir dort keine Alben veröffentlichen.

Dub Dilan: Ich denke, dass beispielsweise eine Band wie Egotronic für deutlich mehr Dissens in einer sogenannten linken Szene sorgt als wir. Aber das ist auch okay. Widersprüche aushalten und so.

Welche Acts außerhalb des Rap-Kontextes haben euch maßgeblich geprägt bzw. tun das bis heute?

Milli Dance: Queen! Ich bin ein totaler Freddy Mercury-Fan. Anders als bei Dub Dilan war zum Beispiel Hardcore nie mein Ding, vielleicht ein bisschen Punk, aber auch Crossover und Nu Metal, was ich aber nicht mehr höre. (alle lachen)

Dub Dilan: Da mussten wir alle mal durch.

Milli Dance: Das stimmt wohl, wobei das für unsere Musik kein entscheidender Einfluss war. Ich höre sonst viel aus dem Bereich Soul und Blues und mag zum Beispiel aus dem deutschsprachigen Bereich Mine und ihre Art, wie sie mit ihrer Stimme arbeitet, sehr gerne. Diese Faszination an vielseitigen Stimmen habe ich auch versucht auf der neuen Platte geltend zu machen, ohne aber Autotune zu benutzen. Ein Künstler, den ich gerade im letzten Jahr sehr viel gehört habe, ist Faber. Sein Album „Sei ein Faber im Wind“ ist absolut großartig!

Dub Dilan: Ich bin nicht sicher, ob man da von Einflüssen sprechen kann, aber Modern Life Is War ergreifen mich immer, egal ob neue oder alte Songs.

Da bin ich ganz bei dir!

Dub Dilan: Die erfinden sich einfach immer neu und haben dabei einen sehr eigenen Sound, der so schön am Post-Hardcore kratzt. Vor allem deren Laut-Leise-Dynamik finde ich total geil. In dieser Hinsicht ähnlich spannend finde ich Fall of Efrafa, wenngleich ich den Hardcore-Veganismus der Band schon immer ziemlich schwierig fand. Trotzdem ist das eine geile Konzeptband, die das Konzept von „Watership Down“ aufgreift und in ein Neo-Crust-Gewand packt.

Milli Dance: Wanda habe ich zum Beispiel auch sehr viel gehört. Zusammen mit Pöbel MC habe ich Wanda mal als Turn Up vor der Show in Mülheim an der Ruhr aufgerissen. Ich weiß, dass die auch teilweise ein bisschen umstritten sind, aber die Energie und dieser dreckig-rockige Wiener Schmäh ist einfach großartig.

Dub Dilan: Ich mochte auch Tackleberry aus Kiel total gerne, weil das auch einfach wahnsinnig nette Menschen sind. Die Bullen sind auch ein großartiges Bandprojekt, das inhaltlich total stark ist. Mit Blick auf den hohen Grad an Selbstironie kann man bei Tackleberry schon fast von einem Einfluss sprechen.

Ist deren Sänger Hannes nicht mittlerweile auch bei Affenmesserkampf aktiv?

Dub Dilan: Exakt. Auch eine großartige Band!

Milli Dance: Mir fallen da noch ältere Gospel- oder auch Blue Grass- Sachen ein, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Gerade wenn ich an den Film „O Brother, Where Art Thou?“ denke, dessen Soundtrack und Landeier-Atmosphäre ich irgendwie großartig fand.

Dub Dilan: Auf Cash können wir uns wohl auch einigen.

Milli Dance: Klar, wie kann man sich nicht auf Cash einigen?

Wir hatten es schon einige Male von der Beschissenheit der Dinge – und von Zeckenrap. Wie lautet hier euer Schlussplädoyer frei nach Sookee: einsame Insel oder Untergrund?

Dub Dilan: (lacht) Das ist mir zu schwarz-weiß. Aber wie klingt das: Sich selbst nicht verlieren und trotzdem noch den Anspruch auf politische Wirksamkeit haben.

Milli Dance: Im Dreck schwimmen, ohne zu Dreck zu werden. Ich versuche mein Leben so zu leben, dass ich in dem funktioniere, was mich umgibt und verliere mich nicht in totalem Selbstmitleid. Zugegeben, ich lebe gerade gut und habe meine Absicherung. Gerade diese Privilegien sollten aber dazu ermuntern, einerseits zu funktionieren, aber nicht die eigenen Prinzipien zu verraten. Es hilft nichts, immer nur zu lamentieren, wie scheiße alles und jeder ist. Vielmehr sollte man versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden und Leuten aufzuzeigen, wenn beziehungsweise dass etwas scheiße ist. Das bedeutet auch, dass ich nicht nur als Künstler in den Mainstream hineinwirken will, ohne ein voll funktionsfähiger Teil davon zu sein.

Mit diesem Fazit kann ich gut leben – und ihr offensichtlich auch. Vielen Dank für eure Zeit!

Milli Dance: Danke dir, tolles Interview!