Bild: Batek127

 

Zeckenrap ist tot, es lebe der Zeckenrap! So oder so ähnlich erlebte ich anfangs die neue Welle an Acts, die sich stets im Fahrwasser des linken Rap-Kollektivs Ticktickboom tummelten und nach dessen Auflösung das Ruder übernahmen. Mit der Zeit musste ich jedoch (positiv überrascht) feststellen, dass Acts wie Haszcara und BoykottOne ganz bewusst nicht das linke Rap-Tagesgeschäft weiter führten, sondern sich von dieser Schublade ein Stück weit emanzipieren wollten. Beiden Acts ist das jeweils mit „Polaris“ und „Kargland“ letztlich geglückt. Gerade im Fall von BoykottOne, dessen voriges Album „Solikonzert“ schon mehr als sechs Jahre zurückliegt, sorgte hierbei für eine große Überraschung. Wir wollten diesen Umstand nochmal zum Anlass nehmen, um mit dem Rapper ausführlicher über seine neue Platte und sein Leben als Linker im ländlichen Raum zu plaudern.

 

Boykott, du hast Ende letzten Jahres dein neues Album „Kargland“ veröffentlicht. Wie fühlst du dich?

Hey, ich fühle mich sehr gut! Vor so einem Release ist der Druck echt enorm. So viel Dinge, die es zu erledigen gibt, so viel, woran man denken muss, der Anspruch einmal alles richtig zu machen. Das ist zeitweise schon zum verrückt werden. Alles macht man sowieso nie richtig, aber das Maximum rausholen war das, was wir uns vorgenommen haben – und das ist einfach richtig viel Arbeit. Wenn das Album dann da ist, gibt es sicherlich immer noch einiges zu tun, aber an dem Produkt selbst lässt sich dann nichts mehr ändern. Da ist, jetzt nach der Veröffentlichung, echt einiges von mir abgefallen.

 

Welches Feedback hast du bisher bekommen?

Pauschal lässt sich die Frage kaum beantworten. Das Feedback ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Es war so ziemlich alles dabei, was man sich an Rückmeldungen vorstellen kann. Dank der Transparenz im Internet kann man sich ja bei Bedarf lange und ausführlich mit Kommentaren beschäftigen. Bei mir ist das aber eher untergeordnet. Priorität haben da schon eher die Rückmeldungen von Freunden oder der Familie. Das ist in der Regel etwas Konstruktives – und gnadenlos für mich.

Der überwiegende Teil war sehr positiv. Natürlich waren da auch Leute, die auf „Angriff die beste Verteidigung 2“ gewartet haben. Die werden von der Platte sicherlich enttäuscht sein. Mir war aber wichtig, mich nicht zu wiederholen. Es hat sicherlich auch auf verschiedenen Ebenen eine Entwicklung stattgefunden und somit ist das auch immer mit Veränderung verbunden. Dass das nicht jedem gefällt, ist sicherlich auch verständlich. Demo-Parolen-Gedresche sucht man vergebens, genau wie den nächsten Tierrechtssong oder die nächste Hymne gegen Repressionsorgane. Das waren sicherlich Kritikpunkte bei dem einen oder anderen. Auch musikalisch klingt „Kargland“ ganz anders als die Alben zuvor. So hörte man es aus einigen Ecken tuscheln, es sei zu poppig oder es knallt nicht mehr so wie früher.

„Kargland“ ist das persönlichste Album, das ich geschrieben habe. Das Feedback aus dem engen Kreis um mich herum war fast durchweg positiv. Aber auch darüber hinaus waren wenige Meldungen dabei, die es wirklich schlecht fanden. Wobei natürlich auch nicht alles bei einem ankommt. Die meisten waren eher überrascht über die Entwicklung und nicht selten habe ich gehört, dass es bis heute mein bestes Album ist. Aber wie eingangs schon gesagt, die Menschen sind so unterschiedlich und nicht jedes Feedback sollte man sich auch zu Herzen nehmen.

 

Ich muss zugeben, dass ich dich eine Weile nicht mehr auf dem Schirm hatte, aber mich umso mehr gefreut habe, als ich die Ankündigung zu deinem neuen Album gelesen habe. Wenn mich allerdings recht erinnere, habe ich dich meist ohne den Zusatz „One“ wahrgenommen. Wie kommt’s, dass du ihn aktuell wieder verstärkt verwendest?

Die Erklärung ist eigentlich sehr simpel. Mit dem Namen geht es eigentlich nur um ein Alleinstellungsmerkmal. Zum einen gibt es noch eine Rockband, die denselben Namen trägt und zum anderen ist es von Vorteil, dass du leicht gefunden wirst, wenn man dich sucht. Fragst du Google nach Boykott, landest du auf irgendwelchen Seiten, die zum Boykott von irgendetwas aufrufen. Jeder, der irgendetwas mit PR oder Marketing zu tun hat, wird dir sagen, dass das ziemlich beschissen ist.

 

Welche Ereignisse hatten maßgeblichen Einfluss auf deine neue Platte?

Das ist sicherlich eine Frage, zu der man auch einen Roman als Antwort schreiben könnte. Ich glaube in erster Linie war ein besonderes Ereignis ausschlaggebend dafür, dass die Platte jetzt erst den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat: Seit einigen Jahren bin ich alleinerziehend. Und dieser Umstand ist sicher auch ein großer Einflussnehmer für das, was entstanden ist.

Zeitweise ist die Musik, was meine eigenen Prioritäten angeht, sehr weit nach hinten gerutscht. Auf einmal war ich allein verantwortlich für einen kleinen Menschen! Da musste das Leben erst einmal neu sortiert werden. Und das braucht in erster Linie Zeit. Inhaltlich habe ich meine familiäre Situation auf dem Album nicht thematisiert, aber unweigerlich war das mit Abstand das was am meisten Einfluss genommen hat. Alles muss ganz anders organisiert werden, jeder Schritt dauert doppelt so lange. Glücklicherweise habe ich ein kinderfreundliches Studio in der Region gefunden. Anders wäre das alles kaum möglich gewesen. Du hast einfach immer einen Menschen dabei, um den du dich kümmern musst. Oder du musst dich um Betreuung kümmern. Allein zu zweit und immer bereit. Da ist es schon eine echte Herausforderung, nebenbei noch so ein Album zu machen.

Hinzu kommt natürlich, dass die Region, in der ich lebe, kulturell und infrastrukturell etwas benachteiligt ist, um es vorsichtig auszudrücken. Damit wären wir jetzt auch bei dem Teil, der inhaltlich am meisten Einfluss genommen hat. Entsprechend heißt das Album „Kargland“. Ich habe mit der Platte ein Bild gezeichnet von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, von der Region, in der ich lebe. Von dem Ort, wo die Busse in die nächste Stadt nur ein paar Mal am Tag fahren, wo die jugendlichen am Marktplatz sitzen und die Zeit tot schlagen, wo du froh bist, wenn die einfachsten und selbstverständlichsten Dinge mal funktionieren. Wo du im Lokal mit entsetzten Augen angesehen wirst, wenn du dich nach einem veganen Gericht erkundigst. Und natürlich wo offen rassistisch an Stammtischen argumentiert wird, man das doch noch sagen darf, aber mit Nazis angeblich nichts gemein hat. Nichts hat mehr Einfluss genommen als die Region, in der ich lebe und das Leben, das ich führe.

 

Ich will nicht mit dem erhobenen Zeigefinger in meiner Umwelt missionieren und Verbote aussprechen.

 

Was war in deinem Fall zuerst da: die Politik oder Rap?

Auf jeden Fall Rap. Die politische Sozialisation kam häppchenweise nach und nach. Das sind ja auch ganz klar Reflexionsprozesse, die stattfinden müssen, um sich irgendwo positionieren zu können. So war es auch bei mir. Irgendwo ist mir da sicher auch etwas aus dem Elternhaus mitgegeben worden. Aber das, was die eigenen Eltern einem sagen, fand ich als Jugendlicher eher voll öde. Wenn deine Eltern dir nur Ökofraß auf den Tisch stellen, gibst du halt irgendwann dein ganzes Taschengeld für Schokopudding aus dem Supermarkt aus. Der Bioladen meiner Eltern und das Holzspielzeug war für mich eher eine Strafe als ein Privileg. Konsequenz daraus war bei mir erst einmal eine Rebellion. McDonalds war für meinen Vater der Teufel. Für mich war es einfach nur lecker. Je älter ich geworden bin, desto mehr habe ich dann aber auch hinterfragt und am Ende dieser Verkettungen stehst du da und begreifst, was dir deine Eltern eigentlich mit auf den Weg geben wollten. Mit 17 dann die ersten Demo-Erfahrungen. Das erste Mal GESA, die erste Ed-Behandlung. Mama sieht mich bei RTL im Bullenkessel auf den Gleisen sitzen, Castor Transport. Und so fand ich mich dann die folgenden Jahre irgendwo zwischen Graffiti, Hip Hop-Kultur und politischen Zusammenhängen wieder. Bis daraus die Persönlichkeit wurde, die heute hier dieses Interview gibt, habe ich sicher vieles gemacht, was nicht gut, politisch korrekt oder sonderlich klug war. Aber Rap war von Anfang an dabei und irgendwann habe ich angefangen über diesen Weg zu kanalisieren, was mir auf der Seele brannte.

 

Ich finde den Umstand, dass du nicht wie viele Linke, die im ländlichen Raum aufgewachsen sind, in einer Großstadt lebst, durchaus bemerkenswert. Sind das in deinem Fall eher persönliche oder doch auch politische Gründe?

In erster Linie sind es persönliche Gründe. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass ich heute nicht mehr hier wäre, wenn in meinem Leben einiges anders gelaufen wäre. Fast alle Freunde, die ich hier hatte sind weggezogen, nur ein paar sind geblieben. Aber wem ist das auch zu verübeln? Wer will schon zwangsläufig sein ganzes Leben im ländlichen Nichts verbringen? Jeder mit einem subkulturellen Anspruch ist in einer Stadt besser aufgehoben als hier. Da brauchen wir uns nichts vormachen. Auf der anderen Seite habe ich das Leben hier aber auch zu schätzen gelernt. Durch meine Musik komme ich ja glücklicherweise viel rum und weiß auch, dass in der großen Stadt nicht alles geil ist. Hätte ich aber diesen Ausgleich nicht, wüsste ich nicht, ob ich hier für immer glücklich werden könnte. Für den Moment fühlt es sich aber richtig an.

 

Neben „Solikonzert“ war „Der Bolzen“ einer deiner ersten Tracks, der mir aufgefallen ist. Spielt Veganismus heute noch eine Rolle in deinem Leben?

Da sind wir wieder bei dem beschwerlichen Landleben. Infrastrukturell ist vegane Ernährung in den Provinzen nicht sonderlich komfortabel. Sicherlich spielt es eine Rolle für mich, will mich aber nicht im Dogmatismus verlieren und beispielsweise meiner Tochter irgendetwas untersagen. Wichtig ist für mich in erster Linie ein bewusster Konsum. Ich will nicht mit dem erhobenen Zeigefinger in meiner Umwelt missionieren und Verbote aussprechen. Gerade im Zusammenleben mit Kindern finde ich es wichtig darüber zu sprechen und ein Bewusstsein zu schaffen für das, was wir alles so essen.

 

Am Ende machen wir Musik und die gilt es zu bewerten. Nicht den Namen der Schublade, in der wir uns unter Umständen gerade befinden.

 

Hatte beziehungsweise hat das Label Zeckenrap für dich eine Bedeutung?

Es fällt mir tatschlich etwas schwer, da eine konkrete Antwort drauf zu geben. Auf der einen Seite macht es voll Sinn, sich musikalisch mit so einem Überbegriff zu positionieren. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass du dann in einer Schublade gefangen bist aus der du eventuell nicht mehr raus kommst und immer in diesem einen Dunstkreis hängen bleibst, deine Musik nur von einigen wenigen konsumiert wird, die sich zudem sowieso schon in eher zeckigen oder linken Zusammenhängen bewegen.

Eigentlich mache ich ja Musik, damit sie gehört wird und ich Menschen damit etwas geben kann. Und dann spielt es für mich keine Rolle, ob es Menschen sind, die sich in linken Strukturen bewegen oder eben nicht. Zweiteres ist sogar noch interessanter, da ich ja eher keine Wohlfühlmusik mache und sich Menschen dann eventuell auch inhaltlich damit auseinandersetzen. Zum Beispiel haben mich über die Jahre überdurchschnittlich viele Nachrichten zu dem Song „Der Bolzen“ erreicht, in denen mir die Leute mitgeteilt haben, dass dieser Song ihnen den Anstoß gegeben hat, sich mit dem Thema Fleischkonsum auseinanderzusetzen. Und dass sie heute kaum noch Fleisch essen, Vegetarier geworden sind oder sogar vegan leben. Das lässt sich letztlich auch auf dieses Zeckrap-Ding übertragen. Warum Musik mit Aussage nur für eine bestimmte Zielgruppe machen? Ich fühle mich dort zu Hause und ich bin froh, dass ich mir bei meinem Publikum keine Sorgen machen muss, dass sich auf meine Konzerte ein paar Nazis verirrt haben. Angefangen hat es ja ohnehin mit einer Fremdzuschreibung. Linker Rap mit gesellschaftskritischen Inhalten wurde vielfach so betitelt. Und Zecken waren für Nazis auch immer schon Menschen, die sich im linken Spektrum verordnen. Warum also eigentlich nicht diesen „negativen“ Begriff für sich vereinnahmen und etwas Positives daraus machen und so für einen größeren Wiedererkennungswert sorgen? In jedem Fall kann man das auf vielen Ebenen diskutieren. Am Ende machen wir Musik und die gilt es zu bewerten. Nicht den Namen der Schublade, in der wir uns unter Umständen gerade befinden.

 

Welche Musiker*innen beziehungsweise Bands zählst du zu deinen größten Einflüssen?

Da gibt es zwei Ebenen: Einmal die Inhaltliche und dann die Musikalische.

Ich habe früher viel Musik gehört, die inhaltlich nicht dem entspricht, was ich vertretbar finde. Produktion, Soundästhetik und Stimmung haben mich aber gepackt. Inhaltlich war das aber oft richtiger Müll! Refpolk war in meiner Entwicklung eine Schlüsselfigur. Mit ihm habe ich damals meine allerersten Songs aufgenommen. Als er mit Schlagzeiln die AJZs in Deutschland unsicher gemacht hat, habe ich es sehr gefeiert. So war es dann auch Refpolk, der mir eines Tages LeijiONE vorstellte, welcher wiederum ja bis heute den überwiegenden Teil meiner Songs produziert hat.

Ein Freund, der mittlerweile auch eine ziemlich erfolgreiche Rap-Karriere hingelegt hat, sagte einmal zu mir, dass wenn er eine Blockade hat oder er sich gerade leer geschrieben hat, er dann neue Musik hört und er daraus oft wieder neue Inspiration schöpft. Ich habe versucht, diesen Tipp zu beherzigen – und tatsächlich funktioniert das auch manchmal. Was ich damit sagen will ist, dass ich mich gar nicht festlegten kann auf Interpreten, die auf mich Einfluss nehmen. Die Musik, die ich konsumiere, regelt den Einfluss. Wichtig für mich ist immer, alles so gut wie möglich in Bewegung zu halten.

 

Gibt es Acts, die du uns an dieser Stelle nochmal ausdrücklich ans Herz legen möchtest?

Da gibt es so einige! Zuerst einmal solltet ihr Haszcara und Finna im Auge behalten. Ich denke, dass da bei beiden noch viel passieren wird. Des Weiteren: LMF, Kobito, Neonschwarz, das neue Disarstar-Album finde ich sehr gelungen, Alarmsignal, One Step Ahead, Spezial K , Sir Mantis, Feine Sahne Fischfilet, Berlin Boom Orchestra, Torkel T, Zugezogen Maskulin, Sookee… Ich könnte Liste noch beliebig lange fortsetzen.

 

Tausend Dank für deine Zeit!

Danke für eure Fragen und alles Gute!