Dass der erste Eindruck bekanntlich der wichtigste sein soll, trifft zum Glück nicht immer zu. Wie oft habe ich schon Bands, die einen schweren Start bei mir hatten, dann letztlich doch total gefeiert. So ähnlich ging es mir zunächst auch, als ich die Ankündigung zu „Beyond The Compass Of Human Understanding“, der neuen Scheibe der Frankfurter Lost In Life, in meinem Postfach hatte. Nun gut, auch bei einem vollen Review-Plan kann ich nur schwer eine Hardcore-Scheibe links liegen lassen. Als der Opener „AnyGivenShitIsOkay“ dann anlief, schwante mir schon Übles: Abgedroschener Whatevercore, mit dem man im Jahr 2019 nicht mal mehr einen Trostpreis gewinnen würde. Nach einer Minute ertönt plötzlich ein „Wait, what the fuck are we doing?“ und leitet in genau jenes Geprügel über, dass das Cover der Platte eigentlich erahnen ließ. Chapeau, da ist den Jungs von Lost In Life ein wirklich guter Twist gelungen. Denn das, was danach folgt, ist unfassbar geiles Geholze irgendwo zwischen Hardcore und Metal. Neu ist das natürlich nicht, aber das ist herzlich egal, wenn man neben Get The Shot und Expire mal wieder eine großartige Band gefunden hat, zu der man gepflegt die Bude zerhacken kann. Auch abseits der Musik scheinen Lost In Life eine gute Mischung darzustellen: Neben „shows, stage dives, high fives“ spielen politische Utopien eine wichtige Rolle für den Frankfurter Vierer. Hier sei der Brecher „No Nation“ als Anspieltipp genannt. Ein Punkt, der mir am selbsternannten „Antifa Hardcore“ der Jungs besonders gut gefällt, ist ihre erklärte Solidarität mit Israel. Das ist ohnehin leider nicht selbstverständlich, aber vor allem in Szenen wie Punk und Hardcore besonders begrüßenswert, die sich leider viel zu oft in pseudopolitischen circle jerks verlieren (hier ist jetzt nicht die gleichnamige Band gemeint!) und lieber antizionistische Trottel wie Ska-P und Propaghandi affirmieren und verharmlosen als ihrem erklärten Szeneanspruch der Ablehnung jeglicher Formen der Menschenfeindlichkeit nachzukommen.

Um es kurz zu machen: „Beyond The Compass Of Human Understanding“ ist meine (überraschende) Hardcore-Platte des Monats. Lost In Life verdeutlichen eindrucksvoll, dass man Hardcore nicht unbedingt neu erfinden muss, im Gegenteil. Dass ihr Brett von Album dann auch noch ihr Debüt ist, macht diesen Umstand umso bemerkenswerter. Von den Jungs werden wir hoffentlich noch viel hören.

[Dead Serious Recordings 2019]