Rock-Musik mit viel Groove und ordentlich Bums? Und das von nur zwei Leuten? Gibt’s wohl! Chaos Commute aus Berlin haben durch diesen Umstand ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Wer die Jungs schon mal live erlebt hat, wird das bestätigen können. Max kann das nicht, wollte aber gerade deshalb mit der Band ins Gespräch kommen. Zum Glück beruhte das auf Gegenseitigkeit, und so plaudern Camilo (Gesang, Gitarre) und Julian (Schlagzeug, Gesang) an einem Frühsommerabend bei einem Kaltgetränk in einer Neuköllner Bar wie aus dem Nähkästchen.

 

Camilo, Julian, danke, dass ihr euch heute Abend Zeit nehmt. Ich Eumel habe es bis jetzt ja leider nicht geschafft, euch mal live zu erleben, obwohl ihr immer wieder tourt und gerade in Berlin öfters spielt. Wie verlief dieses Jahr diesbezüglich für euch?

Camilo: Super! Wir mussten uns für die Live-Shows einfach mal auf die Autobahn wagen. Wir hatten das letztes Jahr schon fest geplant und wollten unbedingt touren. Wir haben die letzten Wochenenden nicht nur in ganz Deutschland, sondern gerade in Berlin einige Shows gespielt. Wenn du das, was du sonst im stillen Kämmerlein schrammelst, mal vor einen Publikum machen kannst, ist das schon echt cool. Das aktuelle Tourleben ist super, es macht viel Spaß und das Feedback ist überwältigend. Alles cool also!

Julian: Ich musste mich erst ein wenig auf das Touren einstellen, war dann aber schnell ebenso begeistert wie Camilo. Gerade die Shows außerhalb Berlins waren eine tolle Erfahrung, zumal es auch echt mal an der Zeit war, mit Chaos Commute mal rauszukommen. Also hat Camilo die Booking-Maschine angeworfen und los ging’s. So an die 15 Shows dürften das allein dieses Jahr gewesen sein, oder was meinst du?

Camilo: Insgesamt schon eher 30, würde ich sagen.

 

Und ist das ein Pensum, das ihr halten wollt?

Camilo: Das können wir momentan noch nicht einschätzen. Halten können wir das schon, ausgenommen die Festivalsaison. Wenn du die noch mit rein nimmst, kommen da locker nochmal 10 Shows drauf.

Julian: Das geht schon, würde ich sagen. Natürlich ist das immer davon abhängig, ob man eine neue Platte rausbringen will oder andere Umstände dazukommen, Lohnarbeit zum Beispiel. Die Band als Projekt ist aber schon so angelegt, dass das in einer schnellen Schiene läuft.

Camilo: Wir spielen ja gerade auch nur am Wochenende. Entsprechend haben wir unsere letzten Shows geplant, weil wir dachten, dass am Wochenende die Clubs und Kneipen einfach voller sind. Uns kennt ja noch kein Schwein, das kommt noch dazu.

 

Bei eurem Sound wundert mich das eigentlich ein wenig. Ihr habt mit Danko Jones und The Bronx euren Sound gut umrissen, finde ich. Wen würdet ihr noch zu euren Einflüssen zählen?

Camilo: Julians T-Shirt! (zeigt auf sein Nine Inch Nails-Shirt)

Julian: Stimmt schon, mein Shirt kann da schon als eindeutige Referenz gelten (lacht). Nine Inch Nails haben großen Einfluss auf unseren Sound. Meine persönliche Steckenpferde sind zum einen Industrial, einschließlich Marilyn Manson, Ministry. Textlich wie musikalisch schön düster, aber trotzdem mit elektronischen Einflüssen. Zum anderen hole ich mir auch viel aus dem klassischen Rock-Bereich, hier seien Foo Fighters, Nirvana und Beatsteaks genannt. In puncto Eingängigkeit, und in dieser Hinsicht glaube ich für uns beide sprechen zu können, haben wir eine gewisse Zugänglichkeit für Pop-Musik. Es ist super, wenn man sich an nachvollziehbaren Songstrukturen festhalten kann. Ich zum Beispiel bin mit den Beatles aufgewachsen, das steckt mir schon sehr in den Adern.

Camilo: In meinem Fall ist es Punk Rock, damit bin ich groß geworden. Aber wenn du dir mal „Dookie“ von Green Day anguckst, sind das 1A Pop-Songs. Diese sind zwar eingängig, aber trotzdem eine gute Mischung aus Kritisieren und Auskotzen. Diesen Aspekt nehmen wir in unsere Texte auf, ich würde es am ehesten als konstruktive Anti-Haltung bezeichnen. Wenn wir Songs schreiben, haben wir immer Ideen im Hinterkopf. Das Resultat klingt dann beispielsweise wie eine Mischung aus Beatsteaks und Metallica: Beatallica. Auch wenn es nicht unsere ursprüngliche Intention war, genau so klingen zu wollen, merken wir beide, wie sehr die musikalische Prägung mal mehr, mal weniger unterbewusst Einfluss auf deine Musik nimmt.

 

Nicht nur in euren Texten klingt ihr sehr politisch, auch sonst weist ihr regelmäßig auf rechte Umtriebe hin. Vermisst ihr das bei anderen Bands?

Julian: Die einen haben eine politische Haltung und sind entsprechend engagiert, was Benefiz-Konzerte oder ähnliches angeht. Die anderen machen nichts von alledem. Ich finde aber nicht, dass man das pauschal kritisieren kann. Ich kann es total verstehen, wenn das Künstler nicht machen wollen, sondern ihre Musik in erster Linie aus Kunstform beziehungsweise eigenes Universum sehen. Camilo und ich finden es persönlich aber wichtig, die Bühne für Inhalte zu nutzen, die uns beiden wichtig sind. Das ist aber nur unsere Meinung. Ich würde anderen Bands, die das nicht tun, per se keinen Vorwurf machen.

Camilo: Im Band-Spektrum, in dem wir uns bewegen, ist eine jeweilige politische Haltung sehr präsent. Ich würde mir eher wünschen, dass Künstlerinnen und Künstler mit größerer Reichweite ihre Plattform für ein Statement nutzen, aber prinzipiell bin ich da ganz bei Julian. Letzten Endes muss das jede Band persönlich entscheiden. Zum Glück gibt es ja einige große Acts, die klare Kante zeigen, wenn’s drauf ankommt. Wenn vermehrt namhafte Künstler für die rechte Seite positionieren würden, fände ich das weitaus beschissener. (lacht)

 

Damit hast du ohne Frage recht. Eine Band wie Chaos Commute, die nur aus zwei Personen besteht, trifft man nicht allzu oft an. Das bekannteste Beispiel dürften wohl The White Stripes sein. War das eine bewusste Entscheidung oder seid nur ihr beide übrig geblieben?

Camilo: So richtig übrig geblieben sind wir nicht. Wir beide haben davor in einer sechs- und später fünfköpfigen Band gespielt, die sich aber irgendwann aufgelöst hat. Nach einer musikalischen Verschnaufpause fragte ich dann Julian, ob er nicht mal wieder Bock darauf hätte, zusammen Musik zu machen. Bei meiner anderen Band I Like Ambulance war zu dieser Zeit nämlich nicht viel los. Wir haben das Zweier-Ding eher als unverbindliche kleine Herausforderung gesehen: Schaffen wir es, mit nur zwei Leuten einen fetten Sound zu kreieren? Und wenn nicht: Auch nicht so wild, dann gucken wir einfach nach weiteren Mitgliedern. Ich finde, dass es von Anfang an gut geklappt hat. Trotz eher spärlicher Technik hat es echt gut gefetzt.

Julian: Ein weiterer nicht unerheblicher Punkt ist der bandinterne Entscheidungsprozess, der zu zweit natürlich deutlich einfacher ist. Gerade mit Blick auf unsere vorherige Band war das vorher mitunter schon echt anstrengend, wenn da jeder seinen Senf dazu geben wollte. Eine ganz pragmatische Geschichte also, jedoch immer, wie Camilo bereits gesagt hat, mit der Option, bei Bedarf trotzdem mehr Leute ins Boot holen zu können. In jedem Fall, und da waren wir uns beide absolut einig, sollten bestimmte Prozesse innerhalb der Band einfacher und Konflikte direkter ausgetragen werden. Letztlich ist der Umstand, dass wir bis heute als Duo auftreten, aber der Musik geschuldet, die wir eben spielen. Wir hatten einfach nicht das Gefühl, dass wir noch jemanden brauchen.

 

Hinsichtlich der Abstimmungsprozesse kann ich das sehr gut nachvollziehen. Hat das Einfluss auf euer Songwriting?

Camilo: Ohne Frage! Gerade anfangs war das stärker zu spüren, heute nicht mehr so sehr. Ich bin in der Band für den melodischen Part zuständig, das hat sich einfach etabliert. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass Julian keine Songs schreibt, im Gegenteil. Er hat echt krasse Ideen und viele Songs kommen aus seiner Feder. Dennoch gehe ich durch diese „Arbeitsteilung“ irgendwie freier an die Musik heran, weil ich weiß, welche Möglichkeiten ich habe. Und die sind gar nicht mal so beschränkt. Ich merke zum Beispiel, dass ich meist keine großen Gitarrensoli auspacken kann, weil mir sonst die ganze Bass-Basis fehlt.

Julian: Ich stimme dem zu! Geht mir nicht anders. (lacht)

 

Wir spielen einfach in allen Läden, bis wir sie durch haben.

 

Camilo, du hast bereits erwähnt, dass du bei I Like Ambulance spielst, die sich auf Facebook indirekt als „Berlins untätowiertester Band“ bezeichnet. Zudem bist du bei Allschools Network aktiv und schreibst dort unter anderem Reviews. Bleibt da noch Zeit für andere Dinge?

Camilo: Durch mein Hinzukommen ist I Like Ambulance allerdings nicht mehr die untätowierteste Band. (lacht) Bei Allschools ist das Tolle, dass ich mir aussuchen kann, was ich mache. Wenn ich also Zeit und Lust habe, dann schreibe über besuchte Shows. Bei Platten-Reviews kann es auch durchaus mal länger dauern, gerade wenn ich selbst auf Tour bin oder anderes ansteht. Ich spiele beispielsweise auch solo, allerdings schläft dieses Projekt gerade. Um deine Frage zu beantworten: Nein, ich habe gerade keine Kapazitäten mehr. (lacht) Ich muss in dieser Hinsicht immer wieder neu priorisieren. Ich bringe immer das voran, was ich gerade zum Leben brauche. Und Musik machen steht da an oberster Stelle.

 

Und du, Julian, bist du auch so ein Arbeitstier?

Julian: Band-Projekte habe ich tatsächlich nur eins: Chaos Commute. Ich habe vor vier Jahren für meine vorherige Band meinen Job als Lehrer hingeworfen und habe auch nach deren Auflösung gesagt: „Egal was du beruflich machst, es muss mit Musik zu tun haben und es muss freiberuflich funktionieren.“ Zur Zeit unterrichte ich an zwei Berliner Privatschulen Musikproduktion und schreibe für zwei Musikmagazine online. Zudem baue ich mir gerade etwas im Bereich Privatunterricht für Musikproduktion auf. Ich versuche alles in meinem Leben nah am Musikmachen zu halten. Für ein weiteres Band-Projekt fehlt mir aber absolut die Zeit.

 

Ihr habt schon eure zweite EP angekündigt. Könnt ihr mir einen kleinen Vorgeschmack geben, was uns erwartet?

Camilo: Eingängigkeit! (beide lachen) Auf jeden Fall aber ein professioneller Sound. Wir haben mit Anfy von Radio Havanna gearbeitet, sprich die Platte produziert und aufgenommen. Er hat wirklich einen klasse Job gemacht! Die Songs sind zwar brachial-rockig, aber doch eingängig. Leute, die unsere Shows besuchen, kennen die Songs schon. Wir haben alles eingefangen, womit wir im letzten Jahr am zufriedensten waren und in eine EP gegossen. Herausgekommen sind sieben Songs, die gut klingen und Spaß machen. Schöne Banger.

Julian: Wir sind Ende letzten Jahres mit den sieben Songs zu Anfy gekommen und waren uns alle sehr schnell einig, dass wir zusammenarbeiten wollen. An dieser Stelle muss ich nochmal hervorheben, wie großartig das war. Alle Songs in der Vorproduktion nochmal Stück für Stück auseinander zu nehmen und geradliniger zu machen, ohne unsere persönliche Note zu verlieren, das war schon echt ein Genuss. Als wir nach der Aufnahme und dem Mixing dann das fertige Produkt in der Hand gehalten haben, dachten Camilo und ich: „Holy shit, Anfy hat echt das Beste aus uns herausgeholt und unsere Demo-Songs in echte Banger verwandelt!“ Ohne etwas vorweg zu nehmen: Die EP klingt nach mehr als zwei Menschen. Und dieses Feedback spiegeln uns auch immer wieder Leute, die uns hören. Diese Energie, den Sound zweier Musiker viel größer klingen zu lassen, hat Anfy großartig eingefangen. Wir sind sehr heiß drauf, das Ding auf die Welt loszulassen! (lacht)

 

Irgendwelche Bands aus Berlin, die man definitiv auf dem Schirm haben sollte?

Camilo: Ghostmaker! Das sind drei kleine Punk Rock-Prominenzen, aber da musst du selbst recherchieren. (lacht) Mittlerweile sind wir Musik-Kumpels geworden. Breiter Sound, eigener Charakter, coole Musiker. Nuff said. Und natürlich JaaRi. Die sind mehr im Bereich Indie beziehungsweise Schrammel-Indie unterwegs, kommen aber teilweise auch aus dem Punk Rock und klingen schön roh. Haben auch letztes Jahr eine EP rausgebracht und spielen zur Zeit sehr viel.

Julian: Ich würde auch War with the Newts hervorheben, da wir schon einige Shows zusammen gespielt haben und dadurch Freunde geworden sind.

Camilo: Wie konnte ich die vergessen!

Julian: Das ist eine wilde Mischung aus Punk, Grunge und einem ganz eigenen und kratzigen Sound. Schon irgendwie Gitarrenmusik, aber mit einer sehr poppigen Attitüde. Wenn man mal weg von heftigerer Musik möchte, sind Kann Karate eine gute Wahl! Die machen echt eingängige Songs und lassen auch eher mal gute Laune durchblicken. Entsprechend sind das vier unfassbar sympathische Jungs, denen man gerne zuguckt, wenn sie auf der Bühne frei drehen.

 

Das ist eine Frage, die ich mit am liebsten stelle: Fällt euch eine lustige Tour-Anekdote ein?

Camilo: Das ist schwierig, da fällt mir nicht wirklich was ein. Ich will auch niemanden in die Tonne hauen (lacht).

Julian: Geht mir ähnlich.

 

Kann auch eine schreckliche sein.

Julian: Da muss ich auch passen, aber eine schöne hätte ich in der Tat. In der Regel ist es ja so, dass die meisten Konzerte ja in Clubs oder Venues gespielt werden. In Nürnberg hingegen haben uns BETA MINUS zu sich in den Proberaum eingeladen und haben neben uns und ihren Freunden noch eine weitere Band reingepackt. Es war ein Konzert, aber es gab weder Licht noch eine Theke oder irgendwas. Man stand quasi mitten in den Instrumenten und konnte nach dem Konzert einfach wieder auf die Sofas wechseln. Das ging bestimmt zwei Stunden und hat unglaublich viel Spaß gemacht, weil es eben etwas von einem ganz persönlichen Freundeskonzert hatte. Dieses Miteinanderspielen war mal etwas wirklich anderes als das klassische Stehen auf der Bühne. Alles in allem ein extrem herzlicher Abend, gerade weil wir diesmal von einer Band und nicht vom Veranstalter so umsorgt wurden.

Camilo: Nicht zu vergessen die Tour de Tram! Das ist unsere nie endende Berlin-Tour. Oder anders ausgedrückt: Wir spielen einfach in allen Läden, bis wir sie durch haben. Der namensgebende Clou dabei ist, wenn möglich mit den Öffis zu den Locations zu fahren. Wenn wir keine Backline stellen müssen, ist das immer schön. Du steigt mit deinen Sachen einfach in die Tram vor deinem Proberaum und kannst zudem saufen, weil du nicht Auto fahren musst. Ich meine, was kostet denn ein Ticket?

Julian: 2,70€?

Camilo: Wir sind nämlich keine Schwarzfahrer. (lacht)

Julian: Nein. So viel Punk Rock ist noch nicht angekommen.

 

Eine schöne Schlussbeschreibung eurerseits. Danke euch für eure Zeit, ihr beiden!

Beide: Danke DIR!