In der Regel kann es vor allem als junger Mensch sehr spannend sein, sich mit den Anfängen und Wurzeln seiner musikalischen Blase zu beschäftigen. Musik beziehungsweise entsprechende Sparten historisch aufzurollen erläutern nämlich oft wunderbar, warum diese heute so sind, wie sie sind. Die bedingungslose Glorifizierung genreprägender Bands ging mir allerdings schon immer ziemlich auf den Keks, schließlich kann ich die Pionierleistung einer Kapelle durchaus anerkennen, sie musikalisch aber trotzdem uninteressant oder gar kacke finden.
Entsprechend unvoreingenommen ging ich an „Nerven geschädigt“, die neue Platte aus dem Hause Brausepöter, heran. Um eines aber vorweg zu nehmen: Dass die Band aus dem ostwestfälischen Rietberg trotz ihres zunächst relativ kurzen Wirkens (1978-1982) eine Pionierrolle zu frühen deutschsprachigen Punk-Zeiten eingenommen hatte, wurde mir erst nach einer kurzen Recherche so richtig klar. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits einige Songs der neuen Platte gehört und war angesichts des musikhistorischen Status‘ dann doch ein bisschen überrascht. Brausepöter, seit 2010 wieder verstärkt im Studio und auch live unterwegs, lassen zwar keine Zweifel aufkommen, dass sie damals mit die ersten waren, die Punk, New Wave und deutsche Texte miteinander verbanden. Überraschend ist aber vielmehr, dass „Nerven geschädigt“ in keiner Minute altbacken wirkt, sondern vielmehr versiert. Man merkt schnell, dass das Trio so gar keinen Bock auf die Rolle der „Punk-Opas“ hat, und das auch zurecht. Auch wenn ich Prädikate wie „zeitlos“ etwas abgedroschen finde: Großartige Songs wie „Falscher Alarm“, „Dienstag Mittag“ und „Dies ist nicht meine Welt“ sind irgendwie genau das – nicht zuletzt deshalb, weil sie Reflexionsprozesse der Band durchblicken lassen. Brausepöter erkennen an, dass sich seit ihrem großen Hit „Bundeswehr“ von 1981 doch so einiges getan hat. Dieses Maß an Reflexion ist besonders für Punk-Verhältnisse bemerkenswert, denn trotz ihres Selbstverständnisses nehme ich die Punk- und Hardcore-Szene oft als ziemlich selbstgefällig und reaktionär wahr.
Brausepöter zeigen mit „Nerven geschädigt“, dass man als Punk-Pionier auch sehr würdevoll altern kann – wenn man davon überhaupt sprechen will. Schließlich dürfte der Dreier auch für Hörer*innen meiner Altersgruppe nicht total offensichtlich nach Szene-Fossil klingen. Die musikalische Unaufgeregtheit wird mit Blick auf die weiße Vinyl- Ausgabe des Albums ästhetisch unterstrichen: Schlicht, aber bei aller Reduziert- und Schnörkellosigkeit dennoch vielfältig. Klingt widersprüchlich? Ist es kein bisschen. Nicht nur Fans werden dies nach einem Durchlauf der Platte mit Freude feststellen. Was Minor Threat für mich in puncto Hardcore sind, dürften Brausepöter nun in Sachen deutschsprachiger Punk sein: extrem wichtig also.
[Tumbleweed Records 2019]