Zu jeder Review ist eine ausgiebige Recherche obligatorisch, schließlich will ich wissen, mit wem ich es hinter der Musik zu tun habe. Manchmal passiert es, dass ich dabei auf Menschen treffe, mit deren persönlicher Einstellung ich nur schwer klar komme. In vielen Fällen stoße ich jedoch auf wirklich spannende Biographien, die Eingang in die Texte der Künstler*innen finden und damit die Musik zu einer sehr persönlichen Angelegenheit machen. So bieten Songs, ganz gleich welches Genre sie beackern, fernab ihrer rein musikalischen Ästhetik mitunter hohes Identifikationspotenzial.

Şevket Dirican ist einer dieser Künstler. Aufgewachsen im baden-württembergischen Heidenheim zog es ihn 2006 mit Mitte Zwanzig in die Hauptstadt der Republik, wo er an zahlreichen Freestyle Battles teilnahm und sich mit unter dem Namen Chefket in der dortigen Rap-Szene Gehör verschaffte. Es folgten Kollaborationen mit Marteria, Amewu, Samy Deluxe, Culcha Candela und Megaloh sowie zwei Studioalben („Einerseits Andererseits“ sowie „Nachtmensch“). Seit dem letzten Album „Nachtmensch“ sind drei Jahre vergangen, nun meldet sich Chefket mit „Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)“ zurück. Der Titel verrät bereits, welche Richtung der Rapper textlich einschlägt: Wie vermutlich wir alle beschäftigen den Rapper klassische Fragen nach fehlender Zwischenmenschlichkeit in einer hektischen Welt. Wie kann man das eigene Leben genießen zwischen Daily Struggle, Identitätsfindung und all der Verantwortung? Und wie kann ich selbst anderen Menschen dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen? Chefket kommt zu einer eindeutigen Antwort: Liebe. Der Wahlberliner kann das mit Blick auf seinen türkischen Background wohl bestens beurteilen und verpackt seine positive Message in warme Beats, die ganz ohne Geprolle und Klischees auskommen und vielmehr wunderbare Geschichten untermalen. Insgesamt wirkt „Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes“) wie aus einem Guss und so geschmeidig wie nur wenige Rap-Alben der letzten Zeit.

Chefket präsentiert sich auf seinem aktuellen Longplayer in Höchstform und zeigt, wie positiv ein vermeintlich hartes Genre wie Rap funktionieren kann. Gerade aus pädagogischer Sicht ist dieser Umstand sehr wertvoll, schließlich ziehen diese Musikrichtung beziehungsweise deren Interpret*innen gerade Jugendliche und haben damit, ob gewollt oder nicht, eine gewisse Vorbildfunktion. Und da ist es mir viel lieber, dass Menschen wie Chefket dieser Rolle gerecht werden, bevor es antisemitische und sexistische Ottos wie Kollegah, Farid Bang und Konsorten tun.

[Vertigo 2018]