Stick To Your Guns sind mittlerweile ohne Frage eine genreübergreifende Konsens-Band. Man sollte eigentlich meinen, dass sich die Bandmitglieder durchaus darauf ausruhen könnten. Weit gefehlt: Shouter Jesse Barnett beispielsweise rief zusammen mit Tom Williams (Stray From The Path) 2014 das Post-Hardcore-Projekt Trade Wind ins Leben, welches eine nicht zu unterschätzende Fan-Gemeinde um sich scharen kann. Dass Barnett nun auch noch Solo-Pfade beschreitet ist ein weiteres Indiz für die musikalische Rastlosigkeit des Musikers aus Kalifornien. Mit Akustik-Versionen der STYG-Hits „We Still Believe“ und „The Crown“ zeigte er, dass Songwriting eine echte Kernkompetenz im Hause Stick To Your Guns ist. Entsprechend musste ich nicht mal ansatzweise überlegen, als ich die Ankündigung einer Solo-Tour Barnetts las.

Gespannt wie ein Flitzebogen mache ich mich in Begleitung zweier großartiger Menschen auf den Weg zur Baumhaus Bar, wo bereits vor Beginn des eigentlichen Konzerts Singer-Songwriter Scott Ruth einige Songs zum Besten gibt. Von einer undankbaren Aufgabe als Opener kann hier keine Rede sein, bereits nach wenigen Tönen schafft es der US-Amerikaner, den kleinen Raum der Bar recht ordentlich zu füllen. Noch ehe ich mich über die frechen Bierpreise ärgern kann, erfasst mich die gemütliche Atmosphäre des warmen Raums und den anderen Gästen scheint es ähnlich zu gehen. Konzentriert aber dennoch tiefenentspannt lauschen diese den Klängen von Ruths Gitarre. Die Crowd quittiert dessen Songs stets mit Applaus und zeigt ihm damit, dass man es als Opener nicht immer schwer haben muss.

Nach einer kurzen Pause nimmt schließlich Jesse Barnett auf der kleinen Bühne Platz und hat trotz Pokerface ein wenig Mühe, seine Vorfreude zu verbergen. Dem Publikum geht es allerdings nicht anders, im Gegenteil: Es scheint den Musiker bereits anzuhimmeln, bevor er die ersten Töne angeschlagen hat. Gleich mit dem ersten Song füllt Barnett den gesamten Raum mit seiner unglaublich variablen Stimme aus und hat dabei keinerlei Mühe, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Neben einigen Trade Wind-Songs gibt er natürlich die genannten STYG-Klassiker zu besten, erweitert die Setlist aber noch um wirklich wundervolle Interpretationen von „Left You Behind“ und „Nobody“. Zwischen den Songs nutzt der charismatische Musiker die Gelegenheit, etwas aus seinem Leben und den Songs zu erzählen. An dieser Stelle merkt man, dass Barnett zwar ein Freund der einfachen Worte ist, mit diesen aber wie nur wenige etwas auf den Punkt bringen kann, ohne in Plattitüden zu verfallen. Trotz seiner weiterhin gewahrten Coolness zeigt sich Barnett von einer sehr persönlichen Seite. Ein Blick in die Runde zeigt, dass ihm das Publikum quasi aus der Hand frisst. Kein Wunder, denn trotz der oftmals sehr privaten Note individueller Erfahrungen bieten Barnetts Texte hohes Identifikationspotenzial. Die muggelige Wohnzimmeratmosphäre, die durch gelegentlich vorbeirauschende U-Bahnen stimmungsvoll komplettiert wird, lässt mich für kurze Momente alles um mich herum vergessen. Egal ob sitzend oder stehend, ich bin in diesen Momenten mit Sicherheit nicht der Einzige, der Barnett ewig zuhören könnte.

In der zweiten Hälfte seines Sets präsentiert Jesse Barnett schließlich mit Wish You Were Here ein weiteres Musikprojekt, bei dem ihm sein guter Highschool-Kumpel und Musikkollege Noah Calvin  am Keyboard und Vor-Act Scott Ruth an einer weiteren Gitarre assistieren. Die Stücke des Trios sind deutlich detailverliebter und komplexer als die vorherigen Songs, aber nicht weniger eingängig. Wenn das mal kein spannender Vorgeschmack auf weitere Outputs des Projekts ist. Schließlich rundet Barnett das Konzert noch einmal mit dem Klassiker „We Still Believe“ ab und erntet dafür verdienterweise noch eine ganze Schippe mehr Applaus. Er ist darüber sichtbar dankbar und glücklich, das Publikum ist es ebenfalls. Der STYG-Shouter versteht es wie nur wenige, dich mit einem saloppen Spruch zum Lachen zu bringen, um dich im nächsten Moment mit einer bewegenden Anekdote heftig schlucken zu lassen. Dass es für große Emotionen nicht immer einen Moshpit braucht, begreift an diesem Abend selbst das toughste Hardcore-Kid.