(c) Viktor Schanz
Radio Havanna wollen es mit ihrem neuen Album „Utopia“ noch einmal wissen. Und das genau zur richtigen Zeit: Der Umgangston wird rauer, die Gewalt gegen Geflüchtete nimmt zu, und dass alles nicht zuletzt, weil AfD, Pegida und Co. immer mehr den politischen Diskurs bestimmen. Warum es wichtig ist, nicht nur als Punk-Band klare Kante gegen rechte Arschlöcher zu zeigen, ohne dabei den Spaß oder den Glauben an die Menschheit zu verlieren, hat uns Bassist Olli im Gespräch zur neuen Platte verraten.
Hey Olli! Super, dass du dir Zeit nimmst.
Olli: Na klar!
Lass uns gleich zu Beginn über eure neue Platte sprechen. Ist es die beste der Bandgeschichte?
Olli: (lacht) Die beste ist es ja sowieso immer. Das wird dir jede Band in jedem Interview über ihre neue Scheibe sagen. Aber ich glaube, dass diese Aussage auch nötig ist, weil man sonst die ganze Arbeit, die hinter einem Album steht, gar nicht leisten könnte. Um es kurz zu machen: Ja, das ist die beste Platte der Bandgeschichte, und das meine ich auch wirklich so. Früher haben wir uns viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, was unser Stil sein soll. Auf unserem Vorgänger-Album „Unsere Stadt brennt“ haben wir zwar ein paar experimentellere Ausflüge gewagt, aber auf der aktuellen Platte klingen wir einfach eher so, wie wir wirklich klingen wollen. Sprich: Poppiger und trotzdem kompromissloser Punk Rock mit politischen Texten, die bei aller Ernsthaftigkeit aber auch witzig sein können.
Hast du einen Lieblingssong, der auf der Platte deutlich hervorsticht und Vorfreude in dir weckt, ihn live auszuprobieren?
Olli: Meine Favoriten sind ganz klar „Hassliebe“ und „Homophobes Arschloch“, weil beide Songs so schön nach Ramones-1-2-3-4-Punk Rock-Stil klingen, aber in meinen Augen mit guten Texten aufwarten.
Ihr habt ja offensichtlich eine sehr klare Vorstellung davon, was ihr musikalisch machen wollt. Habt ihr bestimmte musikalische Vorbilder, gerade in Bezug auf das neue Album?
Olli: Unsere jeweiligen musikalischen Einflüsse waren schon immer relativ breit gefächtert, aber dennoch sehr auf Punk Rock fokussiert. Wir haben schließlich alle die klassischen alten Punk-Bands gehört: Zum einen die bereits erwähnten Ramones, zum anderen natürlich auch The Clash und Social Distortion. Besonders für unseren Sänger Fichte waren zudem deutschsprachige Bands, insbesondere Die Toten Hosen, sehr wichtig. Mit dem US-amerikanischen Westküsten-Punk Rock haben wir jedoch alle einen gemeinsamen musikalischen Nenner: NOFX, Pennywise und Green Day sind da glaube ich gute Referenzen. Diese Bands waren für uns die musikalische Initialzündung und sind bis heute für uns absolut relevant geblieben. Man muss allerdings auch sagen, dass unser privater Musikgeschmack in den letzten Jahren breiter geworden ist. Da mischt sich dann schon mal Casper, Marteria oder auch K.I.Z. in die Playlist, wir hören also nicht mit einem sturen Tunnelblick nur Punk.
Wo genau nehmt ihr die Inspiration für eure Texte her? Schließlich beschäftigt ihr euch nicht unerheblich mit Themen, die explizit die politische Kultur in Deutschland behandeln.
Olli: Wir wollen Musik über die Dinge machen, die uns persönlich bewegen. Das sind einerseits politische Themen, aber auch Freundschaft und zwischenmenschliche Probleme treiben uns um. Das alles findet natürlich auch auf der neuen Platte Platz. Uns ist aber wichtig zu betonen, dass wir Menschen sind, die einfach gerne mal lachen. Dementsprechend haben wir versucht, politische Themen auf „Utopia“ trotz oder gerade wegen ihrer Ernsthaftigkeit mit einem Augenzwinkern aufzugreifen. „Homophobes Arschloch“ oder „Schwarzfahrer“ sind da gute Beispiele, die natürlich nicht immer einhundertprozentig ernst gemeint sind.
Sehr gutes Stichwort. Ihr habt vor einiger Zeit die Kampagne „Faust Hoch“ ins Leben gerufen. Was genau verbirgt sich dahinter?
Olli: „Faust Hoch“ ist im Grunde ein Zusammenschluss von Musiker*innen und Musikhörer*innen. Unsere Motivation diesen zu etablieren war damals die Situation vor der Bundestagswahl 2017, die wir als Band unerträglich fanden. Mit der AfD eine Partei von offenen Menschenfeinden und rechtspopulistischen Arschlöchern im Bundestag sitzen zu haben machte uns wütend, weshalb wir unser eigenes Netzwerk aus Bands, Fans, Fanzines und Labels aktiviert haben mit dem Vorschlag: „Lasst uns doch mal ein klares Statement gegen diese Scheiße setzen!“
Gut, die Welt mag teilweise ziemlich im Arsch sein, aber nun alle Hoffnung aufgeben? Auf keinen Fall! Wir wollen weiter laut sein und optimistisch bleiben.
Würdest du, jetzt mal überspitzt formuliert, also sagen, dass Musik ein legitimes Mittel für den politischen Zweck ist?
Olli: Naja, Musik als „Mittel zum Zweck“ klingt in meinen Augen ein bisschen abwertend, wenn es darum geht, sich im musikalischen Kontext politisch zu äußern. Letztendlich finde es wichtig, dass du als Musiker*in oder Sänger*in, der bzw. die sich selbst ernst nimmt, über Themen schreiben und singen sollte, die dich wirklich bewegen. Ich fände es schlimm nur über Dinge zu singen, von denen man davon ausgeht, dass sie kommerziell erfolgreich sein könnten oder gar von einem Label auferlegt wurden. Musik ist für mich vor allen Dingen eine Möglichkeit, Emotionen zu transportieren: Nicht nur Liebe und Freude, sondern auch Hass, Ärger und Angst bestimmen unseren Alltag. Und wir als politische Menschen werden natürlich ständig gerade mit eher negativen Emotionen konfrontiert. In meinen Augen also umso mehr ein Grund, darüber Songs zu schreiben, erst dann kann Musik so richtig von Herzen kommen.
Mein Eindruck ist, dass ihr mit der Kampagne hauptsächlich junge Leute erreicht, welche bisher noch nicht besonders politisiert sind. Spiegelt euch das auch eure Fanbase? Oder werden eure politischen Positionen schon eher als selbstverständlich wahrgenommen?
Olli: Die Gefahr eines „preaching to the converted“ ist im Punk-Kontext natürlich immer gegeben, das ist uns klar. Wenn ich auf einem Konzert als Band Parolen wie „Nazis raus“ anstimme, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass vom Publikum daraufhin „Alerta, Alerta, Antifascista“-Chöre kommen werden. Bei „Faust Hoch“ war das schon ein bisschen anders. Wir haben es nämlich geschafft, hierfür Bands ins Boot zu holen, für die eine so deutliche politische Aussage nicht so selbstverständlich war. Zum Teil sind diese Bands viel größer als wir! Das können wir in meinen Augen auch durchaus als Erfolg verbuchen, denn diese Bands können gerade in ihrer eher poppig-unpolitisch orientierten Fanbase ungleich mehr Leute ansprechen als eine Punk-Band wie wir, die sowieso eher politische Anhänger*innen hat.
Nochmal zurück zur neuen Platte: Du hast ja schon angedeutet, dass Songs wie „Anti Alles“ auch durchaus einen gewissen Punk-Pathos bedienen. Schwingt da ein bisschen Melancholie an alte Zeiten mit oder ist das durchaus noch ein Thema für euch?
Olli: Ich gebe dir recht, dass man das durchaus pathetisch nennen kann. Allerdings empfinde ich es nicht als peinlich oder kitischig, über Liebe, Freundschaft oder eine gute Zeit zu singen. Nenn es pathetisch, ich nenne es universell und wichtig.
Diese Einschätzung führt mich wieder zum Titel der Platte. Was genau bedeutet der Plattentitel „Utopia“?
Olli: „Utopia“ ist nicht nur ein Statement für uns, sondern auch für unsere Fans und alle Leute, die mit uns diesen Weg gehen. Gut, die Welt mag teilweise ziemlich im Arsch sein, aber nun alle Hoffnung aufgeben? Auf keinen Fall! Wir wollen weiter laut sein und optimistisch bleiben. Wir wollen zeigen, dass sich Engagement weiter lohnt, weil es wichtig ist, mithilfe von Musik an gemeinsame Werte zu glauben.
Das wäre eigentlich fast das perfekte Schlusswort, trotzdem möchte ich dich als politischen Punk Rocker nochmal um eine Einschätzung bitten: einsame Insel oder Untergrund?
Olli: (lacht) Gute Frage! Ich glaube allerdings, dass wir an beiden Orten wenig erreichen können. Das zeigt sich schon an der Taktik von Radio Havanna, für Punk Rock-Verhältnisse relativ poppige Musik zu machen und dabei trotzdem radikale Inhalte zu vermitteln. Ich sehe uns also ganz klar nicht als Underground-Band, sondern als eine, deren Lieder, und das zeigt „Utopia“ ziemlich gut, durchaus auch im Radio laufen könnten. Trotzdem steht unsere Musik für Werte, die man in Mainstream-Kontexten meist vergeblich sucht. Untergrund scheidet für uns also definitiv aus. Auf der einsamen Insel möchte ich aber auch nicht sein, weil ich ein an Mitmenschen und Gesellschaft interessiertes Tier bin. Ich rege mich lieber über meine Mitmenschen auf, als erst gar nicht mehr unter ihnen zu sein. Wir sehen uns nicht als Eigenbrötler, sondern haben immer die Community mit anderen Bands gesucht, nicht nur im politischen Kontext von „Faust Hoch“, sondern mit befreundeten Bands in Berlin wie Montreal oder die Alex Mofa Gang.
Wenn das nicht ermutigend ist. Olli, ich danke dir für deine Zeit!
Olli: Na klar, danke dir, Max!