Immer wieder kotzen Alt-Punks herum, dass die neuen Generationen von Punk-Bands nicht nur nach Hipster-Publikum klingen, sondern auch so aussehen. Und dann immer dieses Genöle, dass man sich mit trivialen Texten an den Mainstream anbiedere. „Halt die Klappe, Opa!“, möchte ich in diesen Momenten den Nörgelden entgegenrufen, sind diese doch meist vor gefühlt hundert Jahren musikalisch stehen geblieben. Eigentlich ist diese Form der alterssturen Selbstgefälligkeit ziemlich amüsant, wenn man sich die Szene mal genauer anschaut. Ich kenne kaum eine Subkultur, die so identitär, parolenhaft und auf pure Ästhetik reduziert ist wie Punk. Solange das Ganze nicht zum bloßen Konsumangebot verkommt, soll doch einfach jede*r nach Gusto agieren. War das nicht mal die ursprüngliche Idee von Punk?

Das dachten sich wohl auch Knarre, die im weitesten Sinne zu der Sorte Punk gezählt werden können, die unter Szene-Reaktionär*innen so verhasst sind. Im Internet ist die noch junge Band aus Berlin gar nicht so leicht zu finden, meist landet man nämlich zunächst bei einer gleichnamigen Rumpelpunk-Band aus dem Raum Baden-Württemberg. Die Berliner schlagen auf ihrem Debüt-Album „Eiscafé Venezia“ etwas andere Wege ein und präsentieren einen wundervollen Mix aus Punk, Emo und ein wenig Pop. Das ist zwar keine bahnbrechende Neuheit, aber was macht das schon. Musikalisch bewegt sich die Platte mit Eisbecher auf dem rosa Cover im Fahrwasser von duesenjaeger und Love A, mit jedem Song sind aber mehr und mehr Einflüsse zu finden. Während der Opener „Umfallende Bierflaschen“ nach einer wirklich gelungenen Kreuzung aus Turbostaat und Red City Radio klingt, bekomme ich bei „Okay“ harte Flashbacks an das Ausnahme-Album „Shed“ von Title Fight. Wie man in sieben Songs beziehungsweise gut 20 Minuten so viele Einflüsse nachvollziehbar unterbringen kann, ist schon echt eine Kompetenz.

Punks mit einem nostalgischen Faible für Urgesteine werden mit Knarre wohl keine große Freude haben, aber das macht gar nichts. Die Berliner Band steht auf ihrem Debüt auf beeindruckende Weise für eine neue Generation, die mehr Melodien und Tiefgang in den Texten zulässt – und damit letztlich alles richtig macht. Wenn ihr nur im Entferntesten zu den Hörenden von sogenanntem Studi-Punk zählt: Knarre ist eure neue Band! Und wenn ein solches Release auf einem kleinen DIY-Label (Amöben mit sozialen Ambitionen) wiederum nicht punk as fuck ist, dann weiß ich auch nicht.

[Amöben mit sozialen Ambitionen 2018]