Wohl kaum eine Rap-Combo hat einen solchen Aufstieg hingelegt wie die Antilopen Gang. Und obwohl die Gruppe, die seit NMSZ‘ Tod 2013 als Trio unterwegs ist, immer mehr in popkulturellen Kontexten gehandelt wird, ist diese alles andere als aalglatt geworden. Wenn sich wie in der letzten Dezember-Ausgabe des Ox Fanzine ein Redakteur im ausklingenden Jahr 2019 allen Ernstes immer noch über vermeintlich geschmacklose Texte zu Stuttgart 21 und die Bombardierung von Dresden 1945 echauffiert und das als Beleg für den Einfluss von bösen AntideutschenTM sieht, besitzen die Antilopen offensichtlich noch immer genreübergreifendes Potenzial zur (szenebezogenen) Kontroverse.

Zu schätzen ist die Antilopen Gang aber nicht nur für ihre Fähigkeit, biederernste Punks zur Schnappatmung zu bringen, sondern vor allem für ihre Musik. Entsprechend groß waren also die Erwartungen an ihr neues Album „Abbruch Abbruch“ – und die Veröffentlichung zahlreicher Singles im Vorfeld sollte diesen Eindruck nach und nach festigen. Das Trio klang in seinen neuen Songs nicht nur musikalisch druckvoller und zugleich vielseitiger, sondern vor allem nachdenklicher und persönlicher – ein Trend, der mit jedem der letzten Alben mehr und mehr zunahm und maßgeblich die Qualität ihres Schaffens formte. Man könnte all das also (frei nach Fatoni) als Benjamin-Button-Effekt bezeichnen: Während eine Vielzahl von Rapper*innen zunehmend abbaut und belangloser wird, ist es bei der Antilopen Gang umgekehrt. Das liegt nicht zuletzt an dem Umstand, dass der Dreier schon immer hörbar Spaß an Rap hatte, aber mit dessen Szene im weitesten Sinne nichts anfangen konnte. Eigentlich eine großartige Sache, schließlich müssen die Antilopen mit dieser Attitüde erst recht nicht auf irgendwelche Trends oder Szenekonventionen Rücksicht nehmen. Genau in diesem Kontext sind großartige Tracks wie „Bang Bang“ zu verstehen: als ehrliche und reflektierte Antithese zum Bild des hypermaskulinen Prolo-Rappers, dem die toxische Männlichkeit aus jeder Pore tropft. Dass an Geburtstagen („Keine Party“), Marihuana („Lied gegen Kiffer“) und Dorfleben („Zentrum des Bösen“) auch nicht alles geil ist, dürfte sich leider noch nicht als Binsenweisheiten durchgesetzt haben, aber die Antilopen arbeiten daran.

„Abbruch Abbruch“ klingt ein wenig nach panischer Flucht oder Rückzug – und im weitesten Sinne ist das auch, wenn auch eine Flucht nach vorne. Das neue Album der Antilopen Gang ist das persönlichste und damit das beste Album des Trios zugleich, vielleicht gerade deshalb, weil es stark nach den frühen Solo-Releases der einzelnen Gangmitglieder klingt. Die Direktheit und Ehrlichkeit der drei Rapper ist lustig, aber schmerzhaft zugleich. Aber genau diese bittere Süße, die sich vor allem in Songs wie „2013“ und „Abraxas“ so deutlich findet, hebt die Platte so sehr von anderen Rap-Releases ab und ist damit jetzt schon eines der wichtigsten Alben für die neue Dekade.

[JKP/Warner 2020]