In den früher eher überschaubaren Subkulturen Freiburgs, in welchen ich als Jugendlicher maßgeblich musikalisch sozialisiert wurde, waren Talco ein fester Begriff und stets eine gern gesehene beziehungsweise gehörte Band. Mich persönlich tangierte die Musik der Band aus Venedig eher wenig, konnte ich Ska bisher nie viel abgewinnen, auch wenn die Laune auf solchen Konzerten wohl zweifellos zu den besten überhaupt gehört. Was mich aber viel mehr störte, war nicht (nur) die musikalische, sondern auch die politische Nähe zu ihren spanischen Genre-Kollegen Ska-P. Letztere finde ich vor allem wegen ihres Antizionismus und der lächerlich verkürzten, weil personalisierten Kapitalismuskritik von Grund auf scheiße. Eine palästinensische Intifada, also der Aufruf zum blutigen antisemitischen Terror und dessen praktische Umsetzung, zum vermeintlich legitimen Widerstand umzulügen, ist echt eine Nummer für sich. Na gut, von ihrem Song „Corri“, der 2004 in eine ähnliche Kerbe schlug, haben sich Talco im Nachhinein zwar nur halbherzig distanziert, allerdings kann ich hier durchaus ein Auge zudrücken, Stichwort „politische Jugendsünden“. Wir alle haben vermutlich mal Positionen vertreten, die wir heute so nicht mehr unterschreiben würden oder gar gänzlich peinlich finden.

Das Ganze soll hier jetzt auch nicht in einen riesigen Rant ausarten, schließlich wollte ich was zum neuen Album der Italiener schreiben. Amen. Mit „And The Winner Isn’t“ erwartet uns genau das, was Fans von Talco haben wollten: Tanzbarer und vor allem eingängiger Ska mit einer ordentlichen Prise Punk und Folk, druckvoll und sauber produziert. Und zugegeben, sogar mir macht die Scheibe in gewisser Weise Spaß. Es fällt äußerst schwer, ruhig sitzen zu bleiben, während sich beispielsweise Songs wie „Domingo Road“ gnadenlos in den Gehörgang eingraben. Für einen Moment vergesse ich sogar, wie sehr mich die Venezianer an Ska-P erinnern. Textlich muss ich mich zu einem gewissen Teil auf den Infotext des Labels verlassen, denn viel mehr als ein paar Brocken lässt mich mein Mittelstufen-Italienisch nicht verstehen. Talco sehen in vielen Aspekten der kapitalistischen Gesellschaft, in der vielen Menschen nun mal leben, eine kleine Dystopie. Diese Herangehensweise erinnert frappierend an Die Truman Show oder die Netflix-Kultserie Black Mirror, was eigentlich ganz spannend ist. Mit „Bomaye“ findet sich sogar eine kleine Hymne auf Mohammed Ali.

Zum Selbstschutz habe ich mir angewöhnt, die politische Attitüde von Künstler*innen von ihrer Musik auszuklammern, sofern das natürlich überhaupt möglich ist. Würde man alle Bands vorher einem ideologischen Check unterziehen, wäre es wohl ziemlich schnell vorbei mit dem Musikgenuss. Wie konsequent man eigene (politischen) Prinzipien beziehungsweise Ansprüche zum Maßstab macht, bleibt letztendlich eine persönliche Entscheidung. Wie dem auch sei: Fans der Band können (wie immer) bedenkenlos zugreifen und die beachtliche Rate von durchschnittlich 100 (!) Live-Shows pro Jahr dürfte damit nicht abreißen.

[Long Beach Records/Broken Silence/Believe Digital 2018]