Seit den letzten Jahren ist deutschsprachiger Rap wieder kräftig im Aufwind. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt Zugezogen Maskulin. Dabei hat sich die Combo um Testo und Grim104 sowohl musikalisch als auch textlich von Szenekolleg*innen wie beispielsweise der Antilopen Gang abgehoben. Mit dem 2015 erschienenen „Alles brennt“ (und hier spreche ich sowohl vom Album als auch von der gleichnamigen Single) verpassten Zugezogen Maskulin (kurz: ZM) dem deutschprachigen Rap eine regelrechte Frischzellenkur. Fette Beats und ein ungewöhnlich aufwendiger Sound, gepaart mit sarkastischen Lines, die nicht selten eine politische Metaebene implizierten. Das alles klang erfrischend neu, und warum soll Rap immer Oldschool klingen? Und Grim so: „Ihr wollt Hip Hop sowie früher? Früher gab es Hitler, früher war es schlecht.“ Zeilen wie diese sind es, die im Kopf bleiben und den bissigen Humor von ZM treffend beschreiben.

Diese Angst, dass nach der Brillanz dieses Albums und dem ganzen Hype der Nachfolger kacke wird. Wir alle kennen das. Und wie unfassbar froh man ist, wenn der beschriebene Fall nicht eintritt, wenn alle Sorgen unberechtigt waren. So in etwa erging es mir mit „Alle gegen alle“, dem neuen Longplayer des Rap-Duos. Ein bisschen hatte ich Rap schon wieder aus meiner riesigen Playlist verdrängt, nun ist Schluss damit. Wirklich selten hat mich ein Rap-Release so umgehauen. Dieser Sound! Alles ist dabei, auch jede Menge 80er Jahre-Vibes. Hinsichtlich der Klangkulisse haben ZM im Vergleich zum Vorgängeralbum noch eine gute Schippe draufgelegt, trotzdem wirken die Tracks organisch und nachvollziehbar, ohne jedoch berechenbar zu wirken. Anspieltipps? Naja, irgendwie das komplette Album. Besonders hervor sticht allerdings „Uwe & Heiko“. Dieser Track ist in jeglicher Hinsicht der absolute Hammer.

Textlich bekommen Fans genau das, was sie an dem Duo so sehr schätzen: Testo und Grim präsentieren eine sarkastische, teils kryptische Analyse unserer Gesellschaft und deren Zeitgeistes. Dabei kann der Albumtitel durchaus wörtlich verstanden werden. So können bzw. wollen sich gerade jüngere Menschen nicht mehr als Individuum, sondern nur noch über die Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe definieren. Auch sorgt dieser ständige Reflex, sich fortlaufend positionieren und damit von anderen Gruppen abgrenzen zu müssen, für eine zunehmende Ellenbogenmentalität. Dieses Phänomen bleibt natürlich nicht nur auf die Hauptstadt-Hipster und ihre „ironische“ Mode beschränkt, sondern lässt sich leider nahezu überall beobachten. Diese Erkenntnis ist eine von vielen, und diese in fetten Tracks treffend zu vermitteln, ohne dabei wie der Leiter eines Soziologie-Proseminars zu klingen, ist im wahrsten Sinne des Wortes Kunst.

ZM haben eine wichtige Antwort auf einen Zeitgeist geschaffen, in dem (politische) Parolen oft purer Selbstzweck und ein kurzlebiges Konsumangebot sind. Ich kann selbstverständlich nicht leugnen, dass dieses Prinzip auch bei dem Duo selbst greift. Aber ich hoffe, dass neue wie alte Fans das Genie der beiden erkennen. Volle Punktzahl!

[Four Music/Sony Music 2017]