Vizediktator kommen aus Berlin. Aus Kreuzberg genauer gesagt. Diesen Umstand lässt das Quartett in fast keinem Song unerwähnt, was mich zumindest anfangs etwas nervte. So viel ich der Stadt abgewinnen kann (schließlich wohne ich dort), geht mir die notorische Verherrlichung dieses Molochs auf den Geist. Zweifellos, und genau diesen Umstand haben Vizediktator völlig richtig erkannt, sind es aber gerade die offensichtlichen Widersprüche, die Berlin in jeglicher Hinsicht spannend machen. Idealistische weiße Mittelschicht-Kids, die der Provinz entflohen sind und nun die Freiheiten einer chaotischen Großstadt genießen. Daneben Agenturensöhne und Hipser mit ihrer „ironischen“ Mode, die sich von einem befristeten Beschäftigungsverhältnis zum nächsten hangeln. All diese (meist zugezogenen) Menschen kämpfen, ganz nach kapitalistischer Manier, um begehrte Ressourcen wie bezahlbare Wohnungen oder Jobs. Auch wenn Berlin viele Möglichkeiten und Freiheiten bietet, ist der ökonomische Druck enorm, und ironischerweise beklagen sich die genannten Leute in einer Tour über die Situation. Der Tatsache, dass sie trotz Ablehnung der Dynamik selbst aktiver Teil dieser Verwertungslogik sind und dabei immer mitspielen (müssen), erkennen leider nur die wenigsten.

Diese Umstände treffen natürlich auch auf andere (Groß-)Städte zu, aber sie lassen sich in nur wenigen Städten so gut beobachten wie in Berlin. Gerade weil mich diese Angelegenheit persönlich betrifft und beschäftigt, haben Vizediktator so etwas wie einen Soundtrack zu meiner momentanen Lebenssituation geschaffen. Auf „Kinder der Revolution“, welches neben ihrer EP „Rausch“ das erste Album ist, zelebriert das Quartett wütend-verzweifelte, aber dennoch stets unaufgeregte Songs voller Energie. Man ist sich der Beschissenheit der Dinge bewusst, lässt sich davon aber nicht herunterziehen. Musikalisch lässt sich das Ganze grob irgendwo zwischen (Post) Punk, New Wave und Indierock verorten. An vielen Stellen schimmert der Sound der frühen Kings of Leon oder Against Me! durch, aber auch eine leichte Verkopftheit der Marke Turbostaat und Love A ist bemerkbar. Klare Favoriten sind die beiden Single-Auskopplungen „Halleluja“ und „Stadt aus Gold“. Wer diese Songs nach dem ersten Durchlauf gleich wieder aus seinem Gehörgang kriegt, hat die Band definitiv nicht verstanden.

Mit „Kinder der Revolution“ legen Vizediktator ein Debüt-Album hin, an dem so einige Genre-Kolleg*innen erstmal vorbei müssen. Wer so gute Songs in Albumform gießen kann, hat es verdient, nicht länger als Geheimtipp gehandelt zu werden. Hier sollten nicht nur Fans der bereits genannten Bands ein Ohr riskieren.

[Sportklub Rotter Damm/Indigo 2018]