Es ist 2020 und die AfD sitzt in immer mehr Landesparlamenten. So weit, so wenig überraschend – zumindest wenn man die politische Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat. Dass das eine Reihe engangierte Projekte und Menschen nicht aufzuhalten vermochten, kann man ihnen nicht vorhalten. Und Punk-Bands, die vergeblich gegen die Vogelschiss-Partei angeschrien haben, erst recht nicht.

Trotzdem (oder gerade deshalb) ist man froh, dass sie noch da sind und sich von der Beschissenheit der Dinge nicht unterkriegen lassen. Was Feine Sahne Fischfilet in ihrem Song „Ruhe“ als Postulat für alle politisch Aktiven formuliert haben, nehmen sich Radio Havanna auf ihrem siebten Longplayer „Veto“ hörbar zu Herzen. Ziemlich genau zwei Jahre nach ihrem Vorgänger „Utopia“ ist der Idealismus nicht verschwunden, sondern die Band eher wütender und entschiedener geworden. Zumindest für ihre Verhältnisse. All jene, die von der Band noch nie gehört haben sollten, dürfen nämlich kein krass rotziges Geknüppel erwarten, auch wenn der vielversprechende Opener „Krach“ das vielleicht suggerieren mag. Muss natürlich auch nicht, aber der stark poppige und Hosen-, Prinzen- und Ärzte-lastige Sound der Band vermag mir immer noch nicht wirklich reingehen. So sehr ich den Wahlberlinern musikalisch nur bedingt etwas abgewinnen kann, kann ich der Band eines absolut nicht absprechen: Authentizität. Songs wie „Antifaschisten“ oder „Hass ohne Verstand“ verdeutlichen, warum die Jungs sich so klar gegen Nazis positionieren. Schließlich ist es kein Zuckerschlecken, im thüringischen Suhl der 90er Jahre aufzuwachsen. Wenn dann noch ein guter Freund zu den rechtsextremen Peinigern überläuft, ist das besonders bitter. Biographien wie jene der Bandmitglieder sind leider nicht selten, aber es ist ohne Frage erfreulich, wenn diese in eine wütende, ermutigende Richtung gelenkt werden.

Solange der Struggle mit alten und neuen Nazis real bleibt – und das wird er wohl noch eine ganze Weile –, werden auch Radio Havanna Songs schreiben und mit Kampagnen wie „Faust hoch“ Gegenrede leisten. Und das ist verdammt gut so. Auch wenn ich die Behauptung, jeder Mensch werde als Antifaschist*in geboren, nicht erst seit dem Irie Révoltés-Hit für naiven Mumpitz halte, setzen die Berliner an der richtigen Stelle an. Wer dann noch mit ihrer Punk-Spielart etwas anfangen kann, wird mit „Veto“, dessen Titel auf jeden Fall wörtlich zu verstehen ist, ein gelungenes Album vorfinden.

[Dynamit Records 2020]