Ein Gastbeitrag unseres Kumpels Ibo

„Scheiß auf Kommerz“ – was für die meisten Punkbands zum Grundgerüst des Phrasenkastens gehört, ist für Jens Rachut wahrscheinlich eher eine Lebensphilosophie. Seit inzwischen 30 Jahren prägt der gebürtige Hamburger das Genre mit wechselnden Bandprojekten, was ihm sogar den (Ehren-?)Titel „Schlüsselfigur der deutschen Punkszene“ auf Wikipedia eingebracht hat. Nach Angeschissen, Das Moor, Dackelblut, Oma Hans, Blumen am Arsch der Hölle, Kommando Sonne-nmilch, Alte Sau und N.R.F.B erscheint Ende März eine Platte in neuer Besetzung auf Major Label.

Für die Maulgruppe hat sich Rachut mit den Undergroundexperten von YASS, Ten Volt Shock und KURT zusammengetan und das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen. In gewohnt verkopft-schräger Manier wird die Rachut‘sche Dramatik durch „Tiere in Tschernobyl“ um elf Tracks ergänzt, die sich musikalisch am ehesten irgendwo zwischen Post-Punk, Noise und Wave einordnen lassen. Hier paaren sich schwere Gitarrensounds mit theatralischen Elektrobeats zu lyrischen Texten, die alle eine radikale Systemkritik in sich tragen und doch ohne Plattitüden auskommen. Das Album zeichnet ein Bild von Idiotie und Zwang, vom Unerwünschten und Falschen und spricht dabei konsequent die Sprache der Ablehnung. Trotzdem – oder gerade deswegen – fällt es schwer sich nicht sofort vom Sound der Maulgruppe mitreißen zu lassen. Das Album ist extrem stimmig produziert und liefert trotz des unverwechselbaren Stils auch alten Rachut-Fans etwas wirklich Neues. Während „Geh doch zum Arzt du Affe“ als relativ klassischer Punkrocksong an seine musikalischen Anfänge erinnert, nehmen die düsteren Elektrosounds einen immer zentraleren Platz in Rachuts Kompositionen ein. So untermalen in „Jäger“ – meinem persönlichen Favoriten der Platte – monotone Beats die besungene Monotonie des Alltags und wir können der Band regelrecht dabei zuhören, wie sie sich in ihre eigene Musik reinsteigert. Dass Rachut nach „Ukraine“ (Oma Hans) der Katastrophe von Tschernobyl nun einen weiteren Track inklusive gleichnamiger Platte widmet, zeugt von einer gewissen Faszination, die mich irgendwie an Marvel denken und über die Gedankenwelt des Sängers schmunzeln lässt. Daneben sind „Tinderbaby“ und „Das Volk“ zwei erstaunlich klare Songs, die mit ihren eindringlichen Refrains zum (poetischen) Mitgrölen einladen.

Insgesamt wird es schwer fallen die Maulgruppe wieder aus der Hand zu legen. Für mich hat Platte schon jetzt einen festen Platz im Regal und ich bin fast erleichtert zu wissen, dass Rachut einfach immer weiter macht.

[Major Label 2019]