In Bezug auf die Färöer-Inseln hat sich mir ein absurder Fakt ins Gedächtnis gegraben: Der nationale Ableger der Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat 1.200 Mitglieder, das entspricht 2,5% der Bevölkerung. Ein Blick in die Wikipedia offenbart noch einige weitere kuriose Fakten, und man merkt schnell, dass so manches auf der Inselgruppe anders zu laufen scheint. Ob das an der relativen Abgeschiedenheit liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings ist dies gerade mit Blick auf musikalisches Schaffen ein Phänomen, das mir in skandinavischen Ländern des Öfteren auffällt.

Mit Marius Ziska betrete ich allerdings in fast jeglicher Hinsicht Neuland. Das Quartett aus dem 300-Seelen-Ort Søldarfjørður zeigt zwar ziemlich schnell, wohin die musikalische Reise auf ihrem neuen Longplayer „Portur“ geht, wartet aber immer wieder mit Überraschungen auf. Aber der Reihe nach. Der Opener „Silvurlín“ ist eine extrem eingängige Dream Pop-Nummer mit einem klaren Ziel: die den bzw. die Hörer*in sofort abholen. Gleichzeitig legt der Song den Grundstein für die atmosphärische Gestaltung des gesamten Albums. Der verspielt-verträumte Stil der Färinger*innen zieht sich wie ein roter Faden durch den Sound. „Longsul“ beispielsweise wartet allerdings mit einem sehr folkig-hymnischen Part auf, der mich persönlich an Bon Iver denken lässt. Auch geil: „Dansa í náttini“, welches mit seinem treibenden Beat Radiotauglichkeit beweist, ohne weichgespült zu klingen. Insgesamt präsentiert sich „Portur“ extrem detailverliebt und schafft eine musikalische Ästhetik und Atmosphäre, die mich sehr an Ólafur Arnalds erinnert: Verträumt, aber irgendwie auch gleichzeitig sehr melancholisch. Dieser Dualismus schlägt sich auch in den Texten Marius Ziskas nieder: Geht es in „Til kærleikan“ noch um die wohltuende Kraft der Liebe, fragt man sich bei „Flóttin“, wo diese eigentlich hin ist, wenn viele das massenhafte Sterben im Mittelmeer nur noch mit einem Achselzucken hinnehmen. Hier offenbart sich die wahre Bedeutung des Albumtitels „Portur“, was so viel wie „Tor“ oder „Pforte“ bedeutet. Menschen leben zum einen nach Emotionen und Prinzipien und sind gewillt, mit diesen eine gute und gerechte Welt zu erschaffen. Ein Blick auf die andere (und greifbare) Seite der Realität zeigt, dass wir manchmal noch ganz schön weit von dieser Utopie entfernt sind.

Auch wenn die meisten des Färöerischen nicht mächtig sein dürften, schafft allein der Klang der Sprache in Bezug auf die Musik eine ganz eigene Ästhetik. So kann dieser rein akustische Zugang zu „Portur“ allein schon spannend sein. Und wem der Inhalt der Songs trotzdem wichtig ist, kann auf die englische Übersetzung der Texte zurückgreifen. Die Gruppe um Marius Ziska schafft es, mich mit ihrem Sound in Watte zu packen und dennoch aufzuwühlen. „Portur“ ist eine Erfahrung, die jede*r gemacht haben sollte.

[Stargazer Records/Broken Silence 2018]