Erst kürzlich konnte ich bei der Bemusterung des Leto-Debütalbums „Vor die Hunde“ feststellen, dass verkopfter Punk doch noch nicht retro ist. Zumindest nicht so retro, dass er zum halbtoten Nostalgie-Relikt verkommt. Vielmehr scheint es gerade ein kleines Revival zu geben, davon zeugen nicht zuletzt Bands wie Love A und Lygo. Letztere kommen aus Bonn und haben ihr Debüt „Sturzflug“ bereits vor vier Jahren veröffentlicht. Ganz neu im Spiel ist das Trio damit zwar nicht, dafür bringt es aber eine entsprechende musikalische Erfahrung mit.

Auf ihren neuen Album „Schwerkraft“ setzen die Bonner nicht nur ihren bisher eingeschlagenen Weg fort, sondern noch einen oben drauf. Während mir persönlich viele melodisch-verkopften (Post) Punk-Bands zu sehr an nötiger Härte einbüßen, machen Lygo genau das Gegenteil. Mehr Geschrammel, mehr Schreien und damit mehr Punk. An einigen Stellen erinnern Lygo durchaus an Frau Potz, vermutlich dürfte Felix Schönfuss‘ Band in den Plattenregalen der Bandmitglieder Lygos stehen. Die musikalische Intensität stimmt auf jeden Fall, aber auch textlich machen Lygo alles richtig. Auch wenn Selbstzweifel, Resignation und gesellschaftlicher Abfuck im Spiegel eigener innerer Zerrissenheit schon fast klassische Themen für verkopfte Punk-Bands sind, überzeugen Lygo mit ihrer eigenen sarkastischen Note: „Manche deiner Pläne hast du einfach vergessen, sie hätten sowieso nicht geklappt | und deine zahlreichen Magengeschwüre hätten eine goldene Zukunft gehabt“. Diese Zeilen, die dem Song „Schraubzwinge“ entnommen sind, stehen stellvertretend für die Grundstimmung des Albums, die durch das Cover unterstrichen wird: Ein Amboss hängt an vier Seilen befestigt in der Luft und zieht unnachgiebig Richtung Boden. Gibt eines der Seile nach, haben es die anderen ungleich schwerer, den Block, auf dem so viel Neues entstehen kann, vor dem Absturz zu bewahren. Eine schöne, wenngleich etwas deprimierende Metapher. So ähnlich geht es mir mit „Schwerkraft“: Die Grundstimmung ist eher bedrückend und sehr nachvollziehbar, aber mit der nötigen Portion Humor und Trotz doch ganz gut zu ertragen.

Mit „Schwerkraft“ präsentieren sich Lygo von ihrer absoluten Zartbitterschokoladenseite und schaffen es, mich von der ersten Minute an abzuholen. Zukünftige Releases dieser und anderer Bands werden sich an diesem Ausnahmealbum messen müssen, und scheiße, das wird nicht einfach. Außer sie nehmen sich das Motto Lygos selbst zu Herzen: „Alles ist so egal, solange das Gefühl stimmt, solange es dich mitnimmt!“

[Kidnap Music 2018]