In meiner Jugend (und auch später) war klassischer Deutschpunk nie so wirklich mein Ding. Zu oft waren die genretypischen Bands schon sehr früh zu abgedroschenen Klischees verkommen und mit ihrer Form der Nonkonformität und politischen Ausrichtung reaktionär und intolerant. Und auf die Gefahr hin, dass ich mich mit dieser Aussage bei vielen Punks sehr unbeliebt mache: Viele dieser Bands waren einfach mehr deutsch als Punk. Songs wie „Yankees raus“ verkörperten nämlich jene Form des vulgärlinken Antiamerikanismus, der als Parole sinngemäß (oder sogar im Wortlaut) nicht nur auf Nazidemos zu hören ist, sondern mit Blick auf Slime und ihrem Vergleich des „American Way“ und der NS-Volksgemeinschaft zudem den Nationalsozialismus auf perfide Weise relativierte. Warum sich bis heute niemand so wirklich an diesem Quatsch stört und Kritik an den Szenehelden als Genöle abgetan wird, habe ich bis heute nicht verstanden. Aber sei’s drum. Es gibt schließlich genug Bands, die großartige Musik machen und politisch nicht totale Vollottos sind.

Kotzreiz ist eine dieser Bands, die ich bereits mit ihrem Debüt „Du machst die Stadt kaputt“ in mein Herz geschlossen habe. Nicht nur der Name ist so wunderbar überzeichnet, auch der rumpelpunkige Sound der Berliner sowie ihre klischeehaften und teils bescheuerten Texte waren für mich die ironische Zuspitzung einer Szene, die sich abseits weniger Ausnahmen immer viel zu biederernst nimmt. Und genau so geht es immer weiter – auch auf Album Nummer vier, das den (für Kotzreiz) wenig überraschenden Titel „Nüchtern unerträglich“ trägt. Auch wenn das jetzt vielleicht ironisch klingen mag: Ein bisschen abwechslungsreicher ist der neue Longplayer dann doch. Der Titelsong „Nüchtern unerträglich“ sowie „Nix zu verliern“ sind musikalisch schon fast so poppig, dass sie glatt von Radio Havanna und den Donots geschrieben sein könnten. Auch wenn, und dieser Umstand dürfte Fans der alten (und stumpfen) Stunde wieder beruhigen, das Gros der Songs gewohnt pöbelig und rumpelig daherkommt, liefern die Berliner mit „Punkboys Don’t Cry“ eine großartige Punk-Hymne ab, die noch eine ganze Weile in meinem Gehörgang hängen bleiben dürfte.

Anders als der Albumtitel es vielleicht nahelegen könnte, brauche ich keine sechs Bier, um die neue Kotzreiz-Platte feiern zu können. Was natürlich nicht heißt, dass man jetzt gar nicht saufen soll. Ach, ihr versteht schon. Wie peinlich (politisch) erhobene Zeigefinger sein können, habe ich an vielen Stellen schon zur Genüge ausgeführt. Kotzreiz sparen sich das zum Glück und machen das, was Punk schon immer am besten konnte: Spaß, Ömmeligkeit und eben doch ein bisschen Ernst.

[Aggressive Punk Produktionen 2020]