Bis zum Ende meiner Schulzeit habe ich vor allem deutschsprachigen Hip Hop und Rap nahezu ausnahmslos gehasst. Kein Wunder, denn damals, als MTV noch kein Pay-TV war, wurde mir ein ziemlich klares Bild von dieser Musikrichtungen vermittelt: Proleten in Klamotten so weit wie Großfamilienzelte, deren Texte sich unter Sexismus und Homophobie allein nicht mehr subsumieren lassen. Die Erkenntnis, dass es neben den üblichen Kartoffelrappern wie Harris oder Fler auch Künstler und vor allem KünstlerINNEN (!) gibt, die mal ironisch, mal offensiv mit Aggro Berlin-Klischees ins Gericht gehen, hat sich bei mir zum Glück schon eine ganze Weile durchgesetzt. Trotzdem freue ich mich immer wieder über Rapper_innen, die das Dominanzgepimmel und Mackertum im Hip Hop nicht hinnehmen wollen.

„Angst & Amor“ ist ein Paradebeispiel für letztere. Auf seinem dritten Long Player präsentiert sich Juse Ju als Antithese eines Gangsta-Rappers. Beispiel gefällig? „Kids zocken GTA, um sich Gangsta zu fühlen | Ich bin so Gangsta ich zock‘ die Sims, um mich normal zu fühlen“. Zeilen, deren Humor eigentlich nicht verwundern, wenn man auf die beiden brillanten „Vorurteile“-Tracks mit Fatoni und der Antilopen Gang blickt. Doch nicht nur Hip Hop und Rap kriegen auf „Angst & Amor“ ihr Fett weg. Auch über das Erstarken rechtsextremer Einstellungen in der sogenannten Mitte der Gesellschaft („German Angst“) und medialen Voyeurismus („YouTube Pin Up“) kotzt sich Juse Ju aus. Oder wie er bereits im Opener „Lalala“ ankündigt: „Ich hab‘ dem Zeitgeist mit Anlauf in die Nüsse getreten“. Das Highlight des Albums bleibt jedoch zweifelsohne „Messias von Benztown“, bei dem es sich (wer hätte es geahnt) um einen lupenreinen Diss-Track gegen Ex-Freundeskreisler Max Herre handelt. Und wenn eine deutsche Rap-Ikone verbale Kelle verdient hat, dann wohl er. Warum? „Früher warst du Esperanto, heute Voice of Germany | offensichtlich bist du arm“. Nuff said.

Zu jeder Sekunde merkt man Juse Ju auf „Angst & Amor“ an, wie sehr er trotz (oder gerade aufgrund) aller Ironie den Untergrund und Battle Jams liebt und lebt: Fette Beats (unter anderem von Sichtexot-Star Figub Brazlevič), böse Texte und ein Rapper, der sich selbst, das Business und die Szene nicht allzu ernst nimmt. Alleinstellungsmerkmale sind das im Hinblick auf die breite Palette der deutschsprachigen, kritisch-ironischen Rapper_innen zwar nicht. Nichtsdestotrotz ist Juse Ju mit „Angst & Amor“ ein Album gelungen, das lange Spaß macht. Überzeugt euch selbst davon: Neun der elf Tracks verschenkt Juse Ju auf seiner Facebook-Seite als Download. Ich rate dennoch eindringlich zum Kauf. Auf Vinyl, versteht sich.

[hhv.de 2015]