Um eines gleich vorweg zu nehmen: In meiner späten Jugend war ich gefühlt der größte Heaven Shall Burn-Fan auf diesem Planeten. Okay, vielleicht zumindest in Freiburg. Bei einem dortigen Konzert im Jahr 2008 stand ich zusammen mit Tommy halb auf der Bühne und wir beide haben jeden verdammten Song mitgebrüllt. Zumindest ich war danach mindestens zwei Tage heiser. Ich denke, das dürfte Beweis genug sein. Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass ich die Band aus Thüringen nach „Invictus“ zunehmend aus den Augen verloren habe.

Da kommt mir die (selbst) auferlegte Quarantäne gerade recht, denn mit „Of Truth And Sacrifice“, der neunte Longplayer der Band, walzt mir gleich ein Doppelalbum in die Hirnrinde. Walzen ist in der Tat das treffendste Verb für die Platte, und schon hier merkt man, dass Heaven Shall Burn immer noch Heaven Shall Burn sind – auch wenn „Of Truth And Sacrifice“ stellenweise neben dem gepflegten Geballer ziemlich abwechslungs- und facettenreich ist. Diesem Umstand ist letztlich auch das Format des Doppelalbums geschuldet, was sich vor allem musikalisch niederschlägt. Die erste Hälfte („Of Truth“) geht  ganz HSB-typisch ordentlich nach vorne, wobei gerade Die Hard-Fans auf ihre Kosten kommen werden. Gute Beispiele sind hier „Thoughts And Prayers“ und „Protector“, mein großes Highlight ist allerdings „What War Means“. Bezeichnenderweise können sich Heaven Shall Burn hier nicht zwischen Panzer und Maschinengewehr entscheiden, weshalb der Song wohl zum heftigsten Brecher der ganzen Platte avanciert. Die zweite Hälfte („Of Sacrifice“) ist vergleichsweise deutlich abwechslungsreicher, weil die Band hier mehr Raum für elektronische Spielereien und Anleihen orchestraler und klassischer Musik zulässt. Mit lächerlichem Sabaton-Manowar-Epos hat das aber glücklicherweise (und wie gewohnt) nichts zu tun. Vielmehr verstehen es Heaven Shall Burn immer noch, das Geknüppel und Gekeife in den richtigen Momenten herunterzufahren und entsprechend ruhiger vorzugehen – um die folgenden Pügel-Parts dafür umso besser knallen zu lassen. Dass das wirklich großartig funktioniert, müsste ich an dieser Stelle eigentlich nicht zusätzlich erwähnen. Schließlich haben die Thüringer seit jeher Samples und Stücke des isländischen Musikers Òlafur Arnalds verwendet (besonders auf „Antigone“ und „Iconoclast“) und auf „Invictus“ in größerem Umfang mit elektronischen Elementen experimentiert. Neben dem besonders ausladenden letzten Song „Weakness Leaves My Heart“ bleibt vor allem das Darkwave-lastige und damit sehr tanzbare „La Resistance“ im Gehörgang hängen.

An dieser Stelle sei nochmal angemerkt, dass man es bei „Of Truth And Sacrifice“ trotz des Konzepts nicht mit zwei völlig unterschiedlichen Alben zu tun hat. Vielmehr sind diese komplementär zu verstehen und verdeutlichen, dass sich Heaven Shall Burn zwischen Geballer und Katharsis viele Freiheiten genommen und eine Vielzahl an Einflüssen verschmolzen haben. Von Abnutzungserscheinungen kann also nach all den Jahren keine Rede sein. Mit gut eineinhalb Stunden Spielzeit ist die Platte zwar nicht unbedingt Easy Listening, gerade Fans wird dieser Umstand aber absolut nicht stören. Wann hat man schließlich schon mal eine Neuveröffentlichung, die das gewohnte Höchstniveau einer Band so konstant hält und deshalb doppelt Spaß macht? Eben. Zeit haben viele von uns jetzt vermutlich genug, da kommt so ein Album gerade recht.

[Century Media/Sony Music 2020]