Zum ersten Mal sah ich Egotronic irgendwann im Winter 2009, flankiert von Frittenbude und Björn Peng im Freiburger Jazzhaus. Dass das Konzert bei dieser Konstellation absolut großartig war, muss ich wohl nicht erwähnen. Gerade Egotronic trugen zu diesem Umstand nicht unwesentlich bei, denn letztlich faszinierte mich ihre Radikalität, mit der sie deutsche Beschissenheiten benannten und ihre Verachtung ihnen gegenüber zum Ausdruck brachten. Während sich Leute aus meinem eher unpolitischen Umfeld noch eher über die „linksextremen“ Texte empörten, hasste meine frühe linke Bubble Torsuns Positionen zu Israel – ein Thema, das die (radikale) Linke bis heute spürbar und immer haarkleiner spaltet. Auch wenn ich mich in diese Position erst nach und nach reindenken musste, gefiel mir Torsuns Beharrlichkeit hinsichtlich seines Standpunktes. Die autoritären Reaktionen vieler Linker war bezeichnend und offenbarte, dass der Egotronic-Fronter einen wunden Punkt getroffen hatte. Ich empfand es als sehr erfrischend, dass es in der Linken diese Art von Reibereien gab – schließlich machte es den politischen Diskurs im eigenen Mikrokosmos wieder spannend.

Warum ich das alles erzähle? Weil ich verdammt froh bin, dass Egotronic noch immer genau jenen auf den Zeiger gehen, die es verdient haben: Fascho-Bürger*innen, Nazis und Antisemit*innen jeder Couleur. Gerade im Jahr 2019, wo sich die AfD immer offener faschistisch positioniert und nicht trotz, sondern genau deswegen, in manchen Bundesländern auf ein Viertel der Wähler*innenstimmen kommt. Möglich war dieser Umstand vor allem deshalb, weil man linke beziehungsweise antifaschistische Positionen systematisch kriminalisiert und rechtsextreme Hetze zunehmend normalisiert hat. Kein Wunder also, dass das neue Egotronic-Album den zynischen Titel „Ihr seid doch auch nicht besser“ trägt – ein Vorwurf, mit dem sich Antifaschist*innen zur Zeit ziemlich oft konfrontiert sehen. Egotronic wären aber nicht Egotronic, wenn sie diese Bürgi-Plattitüde nicht einfach umdrehen und ihn auf ihre Urheber*innen anwenden würden. Entsprechend findet man auf der Platte Anleitungen zum praktischen Antifaschismus („Kantholz“), ein Herz für linke Militanz („Linksradikale“) und im Titeltrack natürlich ein dicker Mittelfinger an alle Hufeisensöhne und -töchter („Ihr seid doch auch nicht besser“). Als Krönung – und mein persönliches Highlight – gibt es mit „Adieu SPD“ noch ein Hohn- und Spottlied auf die allseits unbeliebte Urheberin der Agenda 2010 und einigen Asylrechtsverschärfungen. Herrlich.

Auch wenn die politischen Songs, zu denen beispielsweise auch Mitglieder der Shitlers („1 Like für euch“), Alles Scheisze („Die Quintessenz der Dinge“) und Die Supererbin („Wie ein Mann“) ein paar Zeilen beisteuern, eindeutig überwiegen, leisten sich Egotronic mit „Berlin im Winter“ eine Nummer, die zwar nicht musikalisch, aber zumindest hinsichtlich der Stimmung ziemlich nach Element of Crime klingen. Was erstaunlich gut funktioniert, um ehrlich zu sein.

„Ihr seid doch auch nicht besser“ ist eine Egotronic-Platte wie (fast) jede andere, aber deswegen noch lange nicht überflüssig. Radikale Kritik an den deutschen Verhältnissen ist aktuell genauso dringlich wie vor zehn Jahren – wenn nicht sogar noch dringlicher. Platte Parolen sucht man nach wie vor vergebens, musikalisch dürfen Skeptiker*innen der Band allerdings keine riesigen Sprünge erwarten. Fans wird das mitnichten stören, im Gegenteil. Schließlich verhält es sich mit Egotronic ein bisschen wie mit Punk-Alben während beschissener politischer Zeiten: Sie erleben eine kleine Renaissance.

[Audiolith 2019]