Ohne den Plattenläden meines Vertrauens in den Rücken fallen zu wollen: Besonders viel konnte ich mit dem jährlich stattfindenden Record Store Day (RSD), dem sich weltweit um die 2.000 Fachhändler_innen anschließen, nie anfangen. Ich habe schlicht keine Lust, mich nur des Events wegen in einem völlig überlaufenen Geschäft an den Plattenkisten zu stressen. Auch die eigens für diesen Tag produzierten Tonträger, deren Preise oftmals mit einer streng limitierten Auflage gerechtfertigt wurden, schienen mir meist weder musikalisch noch aus Sammelleidenschaft attraktiv, sondern nur für den ökonomischen Selbstzweck produziert. Sicher, für manch kleinere Läden mag dieser Tag, und das ist in Anbetracht der oftmals prekären ökonomischen Situation dieser Geschäfte trotz Vinyl-Hype durchaus nachvollziehbar, von finanziell nicht unerheblicher Bedeutung sein. Ich ziehe es dennoch vor, abseits solcher Events und in Ruhe nach Musik zu stöbern und zu kaufen.
Umso überraschter war ich von einer 10“-Veröffentlichung von Comeback Kid, welche Victory Records für den RSD 2015 ins Rennen schickte. Wenngleich ich dem Label aus Chicago und dessen Politik sowie den meisten der dort unter Vertrag stehenden Bands eher kritisch gegenüber stehe, war ich von der kanadischen Hardcore-Virtuosen nie enttäuscht worden, weder live noch auf Platte. Auch „Rain City Sessions +1“ bildet hier keine Ausnahme. Der transparente Zehnzöller bietet sechs Songs, die live vor Publikum in den Studios der Rain City Recorders in Vancouver eingespielt wurden. Und meine Scheiße, klingen die gut! Alles in allem könnte diese Platte glatt als Studioalbum durchgehen. Zwar überwiegt die Zahl derer Songs, die von den letzten beiden Alben „Symptoms + Cures“ und „Die Knowing“ stammen. Mit „All in a year“ vom 2003 erschienenen „Turn it around“ sticht allerdings ein älterer Song besonders hervor und erzeugt wohlige Gänsehaut. Hier verdichten die Jungs um Andrew Neufeld ihre Stärke als Live- und Studio-Band in einem Song. Wow!
Als kleine Zugabe, welche bereits im Titel angedeutet wird, geben die Kanadier noch eine Studio-Coverversion des Nirvana-Hits „Territorial Pissings“ zum Besten. Hier scheiden sich wohl die Geister, ob die Welt so etwas tatsächlich braucht. Ich finde: Wenn schon, dann auf jeden Fall von Comeback Kid!
[Victory Records 2015]