Eins vorweg: Wer einen passenden Soundtrack zur aktuellen mitteleuropäischen Jahreszeit sucht, wird mit Chiefland einen Glücksgriff landen. Auf ihrem Debüt-Album „Wildflowers“ präsentieren die Jungs aus Göttingen nämlich eine Art Hybrid der bekanntesten Melodic-/Post-Hardcore-Bands der letzten zehn Jahre. Für Genre-Fans und jene, die es noch werden könnten, eigentlich eine gute Sache, sollte man meinen. Ich bin da hin- und hergerissen: Einerseits ein guter Einstieg in ein doch manchmal recht unübersichtliches Genre voller gleich klingender Bands, andererseits wird so manche*r Kenner*in vielleicht das entscheidende Alleinstellungsmerkmal vermissen.
Für mich gestaltet sich dieses Dilemma zum Glück relativ pragmatisch: „Wildflowers“ mag keine riesige Innovation sein, aber gerade für eine Debüt-LP ist das wirklich eine respektable Nummer! Schon nach wenigen Sekunden drängen sich Vergleiche zu Genre-Größen wie Touché Amoré und La Dispute auf. Obwohl diese durchaus naheliegend erscheinen, sind Referenzen zu Miles Away und Being As An Ocean deutlich ausgeprägter. Gerade letztere und ihr faszinierendes Merkmal, gesprochene und geschriene Parts ins Klangbild einzufügen oder miteinander verschmelzen zu lassen, sind auch bei Chiefland zum zentralen Fixpunkt ihres Sounds geworden. Das funktioniert ausgesprochen gut, allerdings gehen die Münsteraner deutlich knüppeliger und vertrackter zu Werke als ihr Vorbild aus den USA, mit dem sie in der Vergangenheit bereits die Bühne geteilt haben. Auch textlich legen Chiefland Wert auf Substanz, egal ob es um persönliche Erfahrungen oder politisches Bewusstsein geht. Letzteres schlägt sich dann ganz praktisch in der Unterstützung der Band für Sea Shepherd und ein Projekt zur Beseitigung von Plastikmüll in Gewässern nieder. Ein zweifellos guter Anspruch, wenngleich ich die Meeresschutzorganisation um Paul Watson (welche gerade in der Szene erstaunlich unkritisch abgefeiert wird) sehr kritisch beäuge. Inwieweit man darüber stehen kann und ob der Zweck in diesem Fall letztlich die Mittel heiligt, überlasse ich jeder Person selbst.
Musikalisch bliebt „Wildflowers“ letztlich ein großer Genuss, der eindeutig Lust auf mehr macht. Wer in Sachen Melodic-/Post-Hardcore unter einem Stein gelebt und keinen Bock hat, sämtliche Diskographien bekannter Bands abzugrasen, findet mit Chieflands neuem Album gewissermaßen den Versuch eines Genre-Standardwerks – mit allen relevanten Verweisen. Ob das letztlich auch die Intention der Band war oder nicht, ist eigentlich belanglos. Von Chiefland hören wir hoffentlich bald nochmal.
[Uncle M 2019]