In der Nacht vom 8. auf den 9. November 2016 geschah etwas, das nicht nur in den USA für großes Entsetzen sorgte. Donald Trump, ein Sexist und Rassist ohne Berührungsängste gegenüber rechtsextremen beziehungsweise neonazistischen Gruppen, wurde zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Ich war zu diesem Zeitpunkt in Dresden, und die von der langen Wahlnacht gezeichneten Gesichter meiner Kolleg*innen am nächsten Morgen im Frühstückraum des Hotels sprachen Bände. Viele Menschen diskutierten sichtlich erschöpft und resigniert, aber aufgeregt, was denn nun auf die USA und die Welt zukommen werde. Ich hingegen konnte trotz all der berechtigten Sorgen dem Umstand etwas positives abgewinnen. Mit Blick auf ehemalige konservative Präsidenten wie Reagan oder Bush war ich, unabhängig vom persönlichen politischen Standpunkt, der Überzeugung, dass dies nun sicher eine ganze Reihe großartiger Punk-Alben nach sich ziehen werde.

Dass man sich dabei auf Bands wie Anti-Flag blind verlassen kann, sollte ich an dieser Stelle eigentlich überflüssig zu erwähnen sein. Aber ihr neuer Longplayer „American Fall“ ist so unglaublich gut, dass ich es trotzdem tue. Mit dem Albumtitel knüpft die Band aus Pittsburgh, Pennsylvania, nicht nur namentlich und thematisch an den Vorgänger „American Spring“ an. So kann die Anspielung auf die Jahreszeit auch als Niedergang Amerikas verstanden werden, denn dass ein menschenfeindlicher, narzisstischer Populist wie Trump in der ersten (!) modernen und ältesten Demokratie der Geschichte Präsident werden konnte, ist ein beängstigendes Zeichen. Entsprechend haben Anti-Flag auch weiterhin genug, wenn nicht sogar mehr Themen, sich an der US-amerikanischen Politik abzuarbeiten: Sei es die zunehmende ökonomische Ungerechtigkeit („The Criminals“), gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit („Racists“) oder Militarismus („Digital Blackout“), zu kritisieren gibt es wahrlich genug. Nach meinen persönlichen politischen Standpunkten ist die Kritik der Band allerdings in vielen Fällen stark personalisiert und verkürzt. Ich kann von einer Punk-Band natürlich keine elaborierte Ideologiekritik erwarten, aber wohlhabende Politiker*innen pauschal als Faschist*innen abzutun? Naja. Angesichts der Mörderbande Islamischer Staat, dessen Gefolgsleute seit einigen Jahren im Namen Allahs systematisch Menschen abschlachten, versklaven, vergewaltigen und nicht nur die westliche Welt mit blutigem Terror überziehen, irgendwie befremdlich. Das Booklet des Album stellt allerdings (wie eigentlich bei jedem Anti-Flag-Album) unter den Texten jedes Songs weitere Informationen zur Verfügung, um sich selbst mit dessen Inhalten zu beschäftigen.

Musikalisch, und das ist schließlich mindestens genauso wichtig, machen Anti-Flag hingegen wirklich alles richtig. Große Experimente dürfen wir auf „American Fall“ nicht erwarten. Zum Glück! So vieles klingt unglaublich vertraut und unterstreicht damit den Wiedererkennungswert, ohne langweilig zu werden. Gut, eine Spur poppiger ist „American Fall“ tatsächlich. Der Opener „American Attraction“ klingt mit seinem fast überschwänglichen Radio-Appeal erst mal so gar nicht nach Anti-Flag, aber dennoch geil. Viel „typischer“ kommt hingegen der Folgetitel „The Criminals“ daher, entsprechend läuft das Ding schon nach einem Durchlauf richtig rein. So gut, dass man fast den kompletten Song schon erahnen kann, ohne ihn vorher gehört zu haben. Und so geht es mir mit beinahe allen Stücken des Albums, weshalb es mir extrem schwer fällt, einen expliziten Anspieltipp abzugeben. „American Fall“ ist in seiner Gesamtheit einfach geil. Hättet ihr elf Kinder, würdet ihr dann die bescheuerte Frage nach dem Lieblingskind beantworten wollen? Eben.

[Spinefarm Records 2017]