Bild: Rise Records

 

Wenige Genres haben sich seit ihrem Bestehen quantitativ wie qualitativ so ausdifferenziert wie Hardcore. Evergreen Terrace aus Jacksonville (Florida), die sich übrigens nach der fiktiven Straße benannt haben, in der die Simpsons wohnen, verkörpern diese Entwicklung ziemlich treffend – zumindest die der letzten 20 Jahre. Nach dieser beachtlichen Dauer musikalischer Aktivität möchte ich der Band, die mich in vielen Lebensjahren begleitet und geprägt hat, meinen Dank aussprechen. Es wäre naheliegend, einfach die besten Songs der Band vorzustellen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle nicht die unangefochtenen Evergreens (pun intended) der Floridianer in den Mittelpunkt stellen, sondern ein Augenmerk auf ihre unterschätzten Songs legen – und dabei gleichzeitig einen Überblick über die Diskographie der Band geben. Und da Evergreen Terrace bald für einige Termine in Deutschland zugegen sind, können ein paar (subjektive) Geheimtipps abseits der bekannten Hits nicht schaden, oder?

 

„Sweet Nothings Gone Forever“ (Losing All Hope Is Freedom, 2001)

Kurz bevor die große Metalcore-Welle die Vereinigten Staaten und Europa erfasste, legten einige Bands schon mal vor, was die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre musikalisch das besagte Genre bestimmen sollte: Gekeife, Mosh-Parts und Breakdowns. Auch wenn Bands wie Parkway Drive, Heaven Shall Burn, Darkest Hour und As I Lay Dying deutlich mehr zu dieser Entwicklung beigetragen haben dürften als Evergreen Terrace, lassen sich letztere bereits sehr früh in diesem Fahrwasser verorten. Das 2001 erschienene Debüt „Losing All Hope Is Freedom“ klingt aus heutiger Sicht erstaunlich roh und frickelig, aber so war das damals eben. Stellvertretend für den frühen Sound der Band ist ohne Frage der Album-Opener „Sweet Nothings Gone Forever“, der trotz aller Rumpeligkeit schon erahnen lässt, welche Richtung Evergreen Terrace zukünftig einschlagen werden.

 

 

„My Heart Beats In Breakdowns“ (Burned Alive By Time, 2002)

Dass die Schablonenhaftigkeit letztlich zu einer Rezession des Metalcore ab den 2010er Jahren geführt hat, ist eine These, die ich bis heute vertrete. Was die Excrementory Grindfuckers spöttisch „Malen nach Zahlen“ nannten, war für viele Kids meiner Generation ein (zugegebenermaßen stumpfes) musikalisches Lebensgefühl. Genau das bringt letztlich „My Heart Beats In Breakdowns“ auf den Punkt, weshalb es definitiv eine Erwähnung verdient.

 

 

„Dying Degree“ (Writer’s Block, 2004)

Über Sinn und Zweck von Cover-Alben lässt sich leidenschaftlich streiten, „Writer’s Block“ aus dem Jahr 2004 ist für mich eines der besten seiner Art. Neben einer großen Hit-Dichte fasst es hervorragend die musikalischen Einflüsse von Evergreen Terrace zusammen und wirkt in sich schlüssig konzipiert. „Mad World“ (Tears For Fears) und „Sunday Bloody Sunday“ (U2) gehören bis heute zu den wohl meistgehörten Songs, dennoch wird „Dying Degree“ (NOFX) in meinen Augen massiv unterschätzt. Warum eigentlich? NOFX waren und sind noch immer eine extrem wichtige Band für mich, deren Songs exemplarisch für großartigen Punk Rock stehen. Dieser Song ist für jene, die bei allen Breakdowns gerne mal vergessen, dass es ohne Punk so etwas wie Hardcore überhaupt nicht gäbe. Oder wie es Roger Miret (Agnostic Front) mal ausgedrückt hat: „Never trust a hardcore kid that has not listened to punk.“

 

 

„I Can See My House From Here” (Sincerity Is An Easy Disguise In This Business, 2005)

Wem die frühen Stücke der Floridianer bisher zu rumpelig und unmelodisch waren, dürfte jetzt hellhörig werden. Auf „Sincerity Is An Easy Disguise In This Business“ klingen Evergreen Terrace im Grunde schon so, wie sie heute klingen – nicht zuletzt weil sie ihre singulären Akzente auf dieser Platte das erste Mal richtig setzen: Geknüppel, Geschrei, Melodie und die wunderbare cleane Reibeisenstimme Craig Chaneys. Spätestens hier löst sich die Band hörbar stumpfen Metalcore-Dogmen. Oder wenn man das Album kompakt in einem Song haben möchte: „I Can See My House From Here“.

 

 

„The Damned“ (Wolfbiker, 2007)

Obwohl ich ein großer Fan der Band bin, war tatsächlich erst das 2007 erschienene „Wolfbiker“ relevant für mich. Die Veröffentlichung des Albums kam für mich zu einer denkbar guten Zeit: Ich hatte die letzten beiden Schuljahre vor mir und konnte es kaum erwarten, diese Mühle hinter mir zu lassen. Entsprechend war die Platte der perfekte Soundtrack für meine letzten Sommerferien und die Fahrten zu Festivals. Besonders bei „The Damned“, der den großartigen Abschluss eines noch großartigeren Albums verkörpert, bekomme ich noch heute nostalgische Gänsehaut.

 

 

„Hopelessly Hopeless“ (Almost Home, 2009)

„Almost Home“ kann schon allein des Titels wegen fast als eine zeitgenössische Bestandsaufnahme meines Lebens gelten: Schule vorbei, hurra! Die Frage, wie’s denn nun weitergeht, bleibt eine ganze Weile bestehen. Die Wartezeit zur Selbstfindung vertreibe ich mir mit „Almost Home“, dem bisher besten Album der Bandgeschichte. Sehe ich übrigens heute noch so. Auch wenn „Hopelessly Hopeless“ nicht ganz an den Übersong „Enemy Sex“ herankommt, ist er zumindest meine Nummer zwei der Platte. Schnell, punkig, melodisch und gegen Ende eine ordentliche Zerlegung. So muss das!

 

 

„It’s All Over But The Cryin’” (Dead Horses, 2013)

Auch wenn die Floridianer mit “Dead Horses“ qualitativ nicht ganz an den Vorgänger „Almost Home“ anknüpfen können, reiten sie mitnichten ein totes Pferd. Anders ließe sich (neben dem gleichnamigen „Dead Horses“) der eigentliche Hit der Platte „It’s All Over But The Cryin‘“ fast nicht erklären. Diese Melodic Hardcore-Granate gleicht zudem das vergleichsweise brachiale, aber nicht weniger geile „Browbeaters Anonymous“ aus und rundet das Album wunderbar ab.

 

 

Live 2019:

16.08.   Erfurt – From Hell
17.08.   Dinkelsbühl – Summer Breeze
18.08.   Köln – MTC
20.08.   Berlin – Cassiopeia
21.08.   Hamburg – Monkey’s
22.08.   Rostock – PWH
23.08.   Sulingen – Reload Festival
24.08.   Schwarzenberg – Stains In The Sun Festival
28.08.   Weinheim – Cafe Central
29.08.   Göttingen – eins B
30.08.   München – Backstage
31.08.   Obererbach – Pell Mell Festival