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Mit einer sarkastischen Grundeinstellung lässt sich die Beschissenheit der Dinge oft besser ertragen. Nach diesem Prinzip funktionierte Juse Ju ohne Frage, schließlich hat er mit seinen beiden letzten Alben „Übertreib nicht deine Rolle“ und „Angst & Amor“ dem Zeitgeist mit Anlauf in die Nüsse getreten. Warum sein neues Album „Shibuya Crossing“ viel persönlicher ausfällt und wie dieser Umstand mit Japan zusammenhängt, hat uns Juse Ju im Gespräch mit Max verraten.


Moin Juse! Schön, dass du dir Zeit für mich nimmst. Bevor wir über dein neues Album sprechen, muss ich dich auf eine Sache ansprechen, die ich erst vor wenigen Tagen über dich gelesen habe: Laut Wikipedia und Promotext hast du mal als Autor und Redakteur für das Privatfernsehen gearbeitet, unter anderem im Kontext des trashigen Nachmittagsprogramms. Ich wollte das erst nicht so recht glauben. Was hatte es damit auf sich?

All diese Anschuldigungen sind wahr. Aber ich schäme mich für nichts. Okay, ich schäme mich nur ein bisschen. Ich habe die sinnige Fächerkombination Theaterwissenschaft, Japanologie und Soziologie studiert. Kurz gesagt: Einen Job zu finden war kein Besuch im Spa-Bereich. Also habe ich ein Praktikum als Drehbuchautor bei Constantin Entertainment gemacht und anschließend Drehbücher für die Vorabendserie „K11 – Kommissare im Einsatz“ geschrieben. Das ist ein billiges Fiction-Format, das von Laien-Darstellern gespielt wird. Es geht um Kriminalfälle im Groschenroman-Style. Da werden keine echten Menschen in die Scheiße geritten, wie bei Frauentausch, sondern die Sparkassenangestellte aus Bieberach darf in eine anspruchslose Rolle schlüpfen. Das tut es niemand weh (außer manchem beim Zuschauen). Als K11 dann abgesetzt wurde, habe ich aber tatsächlich vier Monate für Formate wie „Die Mädchengang“ auf RTL 2 und „We are family“ auf Pro7 als Redakteur gearbeitet. Das habe ich nicht ausgehalten, hab gekündigt und bin nach Japan abgehauen.

 

Ziehst du bis heute daraus eine gewisse ironische Kreativität?

Dieser Job hatte mit ironischer Kreativität nichts zu tun. Das Schreiben war weder einfach noch habe ich darauf herab geblickt. Ich hab versucht, jedes Drehbuch so spannend und witzig wie möglich zu gestalten. Alle denken immer, das sei leicht zu schreiben. Aber du musst da genauso Ahnung von Dramaturgie, Figurenpsychologie und Dialogführung haben, wie andere Drehbuchautoren auch. Die Logik macht Vorabendprogramm nicht halt (gut, manchmal schon). Die Leute sehen natürlich nur das Ergebnis auf Sat1und wie grottig das gedreht ist, wie Schul-Theater mäßig das gespielt ist und wie grau die Locations aussehen. Das heißt aber nicht, dass jedes Drehbuch von uns Autoren schlecht war oder keine guten Ideen drin hatte. Im Endeffekt hat der Job mein Leben gerettet und meine spätere Karriere als Journalist erst ermöglicht. Ich hab sehr viel gelernt. Innerhalb der Medienbranche wird weniger auf diese Formate herabgeblickt. Du musst es erstmal schaffen jeden Abend 1,5 Millionen Leute vor den Fernseher zu ziehen. Witzig war, als Leute mitbekommen haben, wie viel Geld ich für die Drehbücher bekomme. Plötzlichen wollten alle, die das vorher belächelt haben, das auch machen. Viele haben einen Pitch geschrieben, keiner wurde genommen. Haha, diese Loser.

 

Lass uns über dein neues Album sprechen. „Shibuya Crossing“ klingt deutlich nachdenklicher und persönlicher als deine bisherigen Veröffentlichungen. Eine angenehme Überraschung. Was hat dich dazu bewegt, mehr aus deinem Leben zu erzählen?

Ja. Ich hab gemerkt, dass ich die Introspektiven und persönlichen Geschichten bei anderen selbst am liebsten höre. Ich habe mich aber früher das weniger getraut. Ich dachte, das wird dann kitschig und angreifbar. Als alles scheiße findender Zyniker und Misanthrop ist man unantastbar, steht scheinbar über den Dingen. Deshalb hab ich mich früher eher über Dinge, die ich scheiße fand, lustig gemacht. Aber auf Dauer alles nur zu haten ist ungesund und führt in eine Sackgasse. Deshalb hab ich halt mal die Hosen runter gelassen und schaue jetzt, was die Leute zu meinen Private Parts sagen.

 

In deinen Tracks erzählst du auf teils sehr persönliche Weise deine Geschichte als Weltenbummler: Von der schwäbischen Provinz bis nach El Paso und Tokyo hat es dich verschlagen. Welchen dieser Orte würdest du allen anderen vorziehen und warum?

Definitiv Tokyo. Erstens: Es liegt am Meer. Das ist gut für die Atemwege. Zweitens: Die Snacks am Conbini sind der Hammer. Drittens: Die Menschen in Japan sind nach meinem Gusto. Ich müsste jetzt zu weit ausholen, um das zu begründen. Aber ich hab das Gefühl, viele Menschen in Tokyo geben weniger keinen Fick als in Deutschland. Die brennen noch mehr für ihre Hobbys, ihren Job, ihre Mitmenschen. Es wird mehr an andere gedacht. Viertens: Ich spreche gerne Japanisch. Das ist wie eine Challenge. Man lernt nie aus und ich hätte Bock die Sprach zu mastern. Es gibt aber auch viele negative Punkte an Tokyo. Leider dreht sich zu vieles in Japan um Geld. Die Stadt ist ja auch arschteuer. Dieser Materialismus kotzt mich ein bisschen an. Wer noch mehr Negatives wissen will, dem lege ich das Buch „Darum nerven Japaner“ ans Herz. Ist witzig. Danach würde ich aber auch die Japanische Antwort „Darum nerven Gaijin“ lesen. In beiden steckt viel Wahrheit.

 

Die Shibuya Crossing wird oft als Time Square Japans bezeichnet. Welche Bedeutung hat die große Kreuzung im Zentrum Tokyos für dich?

Ich hab als Kind Anfang der 90er Jahre im südlichen Tokyoter Stadtteil Ota-Ku gelebt. Das ist nicht weit weg von Shibuya, aber für einen 6-Jährigen ist das eine Weltreise. Mein Bruder war damals schon ein Teenie und wie alle Teenies ging er nach Shibuya, im speziellen Harajuku, um koole Dinge zu tun. Skaten, im Yoyogi Park hängen, in koolen Shops einkaufen, Cola trinken, solche Sachen halt. So wurde das ein Sehnsuchtsort meiner Kindheit. Heute finde ich tatsächlich andere Orte Tokyos schöner. Shibuya ist schon sehr kommerziell. Aber als Kind zieht dich diese bunte Welt natürlich in den Bann.

 

Viele Menschen in Europa, die noch nie in Japan waren, haben oft eine ziemlich bizarre Vorstellung von Land, Leuten und Kultur. Welches Klischee haftet Japan zu Unrecht an?

Viele denken, Japaner seien sehr unemotional und verschlossen. Aber das ist nur die Fassade, die Touristen sehen. Ich habe 2010 mit einigen JapanerInnen und Japanern in einer WG gewohnt und in einem Café gearbeitet, in dem ich der einzige Gaijin im Team war. Ich hab noch nie in einem Land gelebt, in dem die Leute mehr zusammen gesungen, gelacht, geweint und geteilt haben. Meine Mitbewohnerinnen haben mir regelmäßig detailliert ihr Herz ausgeschüttet und auch die Jungs haben häufiger mal geweint beim Feierabendbier. Da war ich ein echter deutscher Eisblock, der seine Gefühle für sich behalten hat.

 

Auf Dauer alles nur zu haten ist ungesund und führt in eine Sackgasse.

 

Dein Bruder führte dich in Japan an Hip Hop und Rap heran. Gab es damals dort eine lokale Szene, die dich zusätzlich beeinflusst hat?

Haha, ja. Die gab es sicher. Aber ich war von 6 bis 11 in Japan. Wir waren Kinder. Mit der HipHop-Szene hatte ich nix zu tun. Auch mein Bruder nicht wirklich. Der hat die Mukke nur an unserer Schule aufgelegt. Für eine echte Szene-Kultur waren wir beide zu jung. Mein Bruder hat auch nur Amirap wie Public Enemy, RunDMC und DeLaSoul und später die Fantastischen Vier gehört. Mit japanischem Rap hatten wir wenig zu tun. Irgendwann gab es diesen japanischen Rap-Hit: „Da yo ne“ von East End & Yuri . Der war auch bei uns an der Schule der Shit. Aber abgesehen davon, hatten wir mit der Tokyoter HipHop-Szene nichts zu tun.

 

Welche Rolle spielen Hip Hop und Rap heute in Japan?

Puh. Gute Frage. Ich denke, HipHop ist in Japan nicht so groß wie hier oder in den USA. Es gibt so richtig schlimme Pop-MCs, die im J-Pop Stars sind. Das würde ich aber alles nicht als HipHop verbuchen. Das wäre als würde man Captain Jack in die HipHop-Szene stecken. Es gibt auch Stars aus der „richtigen“ HipHop Szene. Aber die Dominanz die Rap bei uns hat, gibt es glaube ich nicht. Ich muss aber auch zugeben, dass ich nicht so viel japanischen Rap höre. Bisher hat mich da außer dieser Koreanisch-Japanische Hit „It G Ma“ von Keith Ape nichts so richtig gecatched. Der Song ist aber Killer.

 

Mit „Propaganda“, auf dem auch Danger Dan von der Antilopen Gang zu hören ist, lieferst du auch einen ziemlich politischen Track, in dem du (antisemitische) Verschwörungstheorien auf’s Korn nimmst. Eine Antwort auf einen erschreckenden Deutschrap-Konsens?

Es geht da weniger um Verschwörungstheorien, sondern um Narzissmus. Es gibt sicher einen Teil der deutschen Rapszene, in denen antisemitische Ressentiments herrschen. Es gibt aber auch sicher viele Rapper, denen diese Fragen völlig egal sind. Und wieder andere, die Antisemitismus ablehnen. Der Song richtet sich auch nicht gegen irgendwelche Deutschrapper oder gegen die AfD oder die großen Demagogen der neuen Rechten. Der Song widmet sich dem gekränkten 20jährigen Kiffer in Hinterdupfig, bei dem simple Antworten verfangen. Der eine perverse Faszination für autoritäre Persönlichkeiten wie Erdogan, Trump oder Putin hat. Die Jungs die denken, sie könnten das Weltgeschehen begreifen, indem sie YouTube schauen und Webseiten ohne Quellenangaben lesen. Ich will nicht sagen, dass ich das Weltgeschehen begreife. Ich will sagen, dass ich mir trotzdem ziemlich sicher bin, dass man das Weltgeschehen nicht an seinem Computer und vor YouTube begreifen wird. Dass diese Menschen trotzdem denken, sie hätten die Welt verstanden, hat glaube ich viel mit einem gekränkten Ego zu tun. Das wollte ich rausarbeiten. Koljah von den Antilopen hat das mal ganz gut in einer Zeile zusammengefasst: „Ich hielt mich für eine allwissende Lichtgestalt, dabei war das nur Ausdruck meiner eigenen Nichtigkeit“.

 

Muss Rap wieder einen politischeren Anspruch haben?

Rap muss gar nichts. Rap kann völlig hirnlos sein oder ganz im Privaten bleiben. Da kommen dann meistens die besseren Songs bei raus. Rap ist Musik und Musik ist Gefühl. Wenn man eine gute Idee oder ein Feeling zu einem politischen Thema hat, dann kann man ja daraus einen Song machen. Wenn man mehr Bock hat über Pancakes zu rappen, dann sollte man das tun. Bei Rap geht es um Style, Feeling, Flows, gute Sprüche und Klamotten. Nimm „Propaganda“: Der Song soll in erster Line lustig sein und der Beat soll bangen. Ich hatte einfach einen Haufen guter Sprüche, die ich diesen Idioten gerne an den Kopf werfen wollte, über die ich oben gesprochen habe. Und das habe ich damit getan. Natürlich freut es mich, wenn Leute eine Sekunde länger nachdenken aufgrund eines Songs. Aber an sich ist die Musik nur der Soundtrack. Nicht die Kampfschrift.

 

Deine Top 5 Rap-Alben?

  1. Massive Töne – Kopfnicker von 1996. Wegen dieses Albums habe ich angefangen zu rappen. Damals allen anderen deutschen Rapcrews weit voraus.
  2. 50Cent – Get Rich or Die Trying. Wegen dieses Albums fliegen Kugeln auf meine Feinde.
  3. Eins Zwo – Sport EP. Hat mir gezeigt, was Style und Lyrik bedeuten.
  4. Bushido – Vom Bordstein bis zur Skyline. Ein weiterer Grund, warum Kugeln auf dich fliegen.
  5. Eminem – Slim Shady LP. Hat mir gezeigt, wie tief man gehen kann.

 

Und zum Schluss: Die lustigste Tour-Anekdote?

Als Fatoni und ich fürs Goethe Institut in HongKong, Korea und Japan waren, mussten wir einen Gig einem Einkaufscenter in Yokohama spielen. Das hatte den Charme einer Autohaus-Eröffnung. Die Japaner gingen irritiert dran vorbei. Auf einmal lief eine Gruppe Gaijin durch die Mall. Dem einen wäre fast das Eis aus der Hand gefallen, als er uns gesehen hat. Er war großer Fan seit Tag eins. Der hatte uns als kleiner Dude schon vor 10 Jahren in München rappen sehen und verstand die Welt nicht mehr. Wir haben später noch mit ihm gelabert und ein Foto gemacht. Wer jetzt spannendere Geschichten erwartet hat, den muss ich leider enttäuschen. Bei uns sind die guten Momente auf Tour, die in denen wir auf der Bühne stehen. Drumherum passiert gar nicht so viel. Bis man abgebaut hat und im Hotel ist, ist es dann oft 3 Uhr nachts und um 9 geht’s schon wieder in den Bus. Nix Rock n Roll. Sorry.

Vielen Dank für deine Zeit, Juse!